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Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Titel: Das Geheimnis der Eulerschen Formel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yoko Ogawa
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sondern auch mit den grundlegenden Prinzipien der Zahlentheorie zu tun hatte. Und dann entdeckte ich endlich die Formel, die der Professor auf den Zettel geschrieben hatte. Ich hatte ziellos in dem Buch herumgeblättert, bis mir die bewusste Zeile förmlich ins Auge sprang. Sorgfältig verglich ich die Notiz mit der Gleichung im Buch. Es bestand kein Zweifel: Es war die Eulersche Formel.
    Jetzt wusste ich zwar, wie die Formel hieß, aber was sie bedeutete, war mir immer noch unklar. Ich stand im Gang zwischen den Bücherregalen und las mir die Seiten, die sich mit dieser Gleichung beschäftigten, immer und immer wieder durch. Besonders schwierige Passagen las ich laut vor, wie es der Professor mir empfohlen hatte. Zum Glück war ich immer noch ganz allein im Saal, sodass sich niemand beschweren konnte. Ich horchte auf meine eigene Stimme, die von den unzähligen Mathematikbüchern verschluckt wurde.
    π war mir bekannt: eine mathematische Konstante, die das Verhältnis beschrieb, das der Umfang eines Kreises zu seinem Durchmesser hatte. Der Professor hatte mir auch die Bedeutung von
i
erklärt. Es steht für die Wurzel aus -1, eine imaginäre Zahl. Aber was hatte es mit dem e auf sich? Ich vermutete, dass e ebenso wie π eine unendliche, irrationale Zahl war und eine elementare mathematische Größe darstellte.
    Aber zuerst musste ich herausbekommen, was ein Logarithmus war. Es handelt sich um die Umkehr des Potenzierens, ein anderer Begriff für den Exponenten. Mit anderen Worten, der Logarithmus einer gegebenen Zahl ist die erforderliche Potenz, mit der die ihr zugrunde liegende Zahl – die sogenannte Basis – erhöht wird, um die gegebene Zahl als Ergebnis zu erhalten. Die Basis wird dann »erniedrigt« geschrieben. Wenn zum Beispiel die Basis 10 beträgt, dann ist der Logarithmus von 100 gleich 2 : 100 = 10 2 oder log 10 100.
    Im gebräuchlichen Dezimalsystem bedient man sich praktischerweise der Basis 10. Aber Logarithmen mit der Basis e spielen in der Mathematik eine außerordentlich wichtige Rolle. Sie heißen »natürliche Logarithmen«. Mit welcher Potenz von e erhält man eine natürliche Zahl?
    Nach Eulers Berechnung beträgt e 2,718281828459 04523536028 … und so weiter bis in alle Unendlichkeit. Die Rechenformel selbst wirkt im Vergleich zu ihrer komplizierten Beschreibung recht einfach:

    Aber die Einfachheit dieser Rechenoperation verstärkt eigentlich die Rätselhaftigkeit von e. Was ist denn nun so »natürlich« an diesem
natürlichen Logarithmus
? Ist es nicht vielmehr extrem unnatürlich, eine solche Zahl zur Basis zu haben, die einen Schwanz nach sich zieht, der auf kein noch so großes Blatt Papier passt und allein durch ein kleines Symbol namens e umschrieben werden kann?
    Man kann sich so gut wie keinen Begriff machen von dieser Zahlenkolonne. Sie erscheint so chaotisch zu sein wie übereinanderkrabbelnde Ameisen oder ein Haufen Bauklötze, der von einem kleinen Kind auf den Boden geworfen wurde. Und dennoch besitzt sie eine innere Logik, was die Sache noch komplizierter macht. Gottes Plan ist eben doch unergründlich. Und es gibt tatsächlich einige wenige Menschen, die im Ansatz diesen Plan begreifen. Der größte Teil der Menschheit, mich eingeschlossen, sollte ihnen dankbar sein für die Mühe, die sie auf sich nehmen.
    Das Buch wog so schwer, dass meine Hand zu kribbeln begann und ich es einen Moment hinlegen musste, bevor ich wieder zurückblättern konnte. Ich besann mich auf Leonhard Euler, den wohl bedeutendsten Mathematiker des 18. Jahrhunderts. Ich kannte zwar nur seine berühmte Formel, aber allein dadurch hatte ich das Gefühl, leibhaftig mit ihm in Kontakt zu treten. Euler verwendete einen extrem widernatürlichen Begriff, um eine einzige Formel zu erstellen. Damit entdeckte er den natürlichen Zusammenhang zwischen Zahlen, die scheinbar nichts miteinander zu tun hatten.
    Wenn man 1 und e hoch
i
mal π addierte, erhielt man 0:
    e i
π + 1 = 0
    Ich betrachtete erneut den Zettel des Professors. Eine Zahl, die sich in der Unendlichkeit verlor, und eine andere, die niemals ihr wahres Gesicht offenbarte, zogen elegant ihre Bahnen und trafen sich an einem fernen Punkt. Obwohl nirgendwo ein Kreis zu sehen ist, schwebt unerwartet π aus dem Nichts herab und gesellt sich zu ihnen, um sich dann mit dem schüchternen
i
zusammenzutun.
    Aneinandergelehnt verharren sie nun gemeinsam in aller Stille, mucksmäuschenstill, aber man braucht nur eine 1 hinzuzufügen, und schon verändert sich

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