Das Geheimnis der Götter
Flammenzunge das Geschoss in tausend Teilchen zerplatzen.
Der Prophet konnte seinen Feind nur schlecht erkennen und fand keine Unterstützung von isefet, mit der er dessen Verteidigung hätte durchbrechen können.
Trotz der Gluthitze ging Sesostris weiter voran. Die Spirale, die die rote Krone schmückte, löste sich auf einmal und legte sich dem Propheten um den Hals. Irgendwie gelang es ihm, sich von diesem Halseisen zu befreien, das aber eine tiefe Wunde hinterließ. Blutüberströmt brüllte er seinen Schmerz bis in die Eingeweide der Erde.
»Ungeheuer aus den Tiefen, kommt nach oben und verwüstet dieses Land!«
Als heißer Rauch durch die Erdspalten heraufdrang, vergoss Sesostris den Inhalt der goldenen Schale, und die Tränen der Isis löschten das Feuer.
Vergeblich versuchte der Prophet den Abfluss für die Lava zu öffnen. Der Feuerfluss wandte sich gegen ihn und verwandelte ihn in eine lebende Fackel.
»Ich verschwinde, Sesostris, aber ich sterbe nicht! In hundert, tausend oder hunderttausend Jahren komme ich wieder, und dann werde ich siegen!«
Der Körper des Verfluchten zerfiel zu Asche, die Hitze ließ
nach, und der Steinbruch lag wieder ruhig und verlassen da. Seit seiner Entstehung hatte Ägypten verhindert, dass der Prophet sein Gift verteilen konnte. Und der jüngste Sieg der Doppelkrone bewies das beständige Wirken der Maat. Doch der Einklang der Zwei Länder und ihrer Verbindungen mit dem Unsichtbaren – unschätzbaren Werten – blieb immer bedroht. Bereits am Ende des goldenen Zeitalters der großen Pyramiden wäre das Land beinahe untergegangen. Nur das Pharaonentum hatte sich damals einem anscheinend unausweichlichen Schicksal in den Weg gestellt. Als Sesostris diese Herrschaftsform wieder neu errichtete, setzte er das große Werk seiner Vorgänger fort.
Aber eines Tages mussten die Dämme brechen, und der Prophet würde eine Bresche für einen Großangriff nutzen. Und dann war da kein Pharao mehr, der ihm die Stirn bieten konnte. Sesostris musste so schnell wie irgend möglich nach Abydos, um Iker ins Licht zurückzuholen.
Im Hafen von Memphis lag ein schönes neues Schiff mit einer kriegserfahrenen Besatzung, bereit zur Abfahrt.
»Wir fahren ohne Pause, Tag und Nacht«, erklärte der Monarch. »Unser Ziel ist Abydos. Dort kommen wir am dreißigsten Khoiak an.«
Der Kapitän wurde bleich.
»Das ist vollkommen unmöglich, Majestät. Kein Wind, auch nicht der kräftigste, könnte…«
»Am dreißigsten Khoiak.«
»Also dann, wie Ihr befehlt, Majestät. Aber da ist noch eine Frage, die geklärt werden muss: Wie soll unser Schiff heißen?«
»Es heißt Gefährte des Windes,«
MONAT KHOIAK
Sechsundzwanzigster Tag (14. November)
ABYDOS
Die Ritualisten schössen mit Harpunen nach dem Nilpferd des Seth, als das sich der Gott der kosmischen Unruhen besonders gern verkörperte, und verbrannten die kleine Tonstatue auf einem Feueraltar. Zu Beginn der Tage, die für Osiris’
Auferstehung entscheidend waren, musste jede Form von Zwietracht unterbunden werden, die den alchemistischen Vorgang stören konnte.
Ehe eine neue Prozession stattfand, betrachtete Isis Ikers Mumie.
Noch war er nicht vom Tod geheilt, aber ein Schimmer von Leben umgab seinen Auferstehungskörper. Die Witwe hatte Angst vor dem Eintritt in die Welt des Lichts, einem äußerst gefährlichen Übergang.
Aber weder Iker noch seine Frau hatten die Wahl. Nun versuchte Isis mit ihrem Vater Verbindung
aufzunehmen. Sie sah eine gewaltige Feuersbrunst und eine menschliche Gestalt, die von den Flammen verschlungen wurde.
Dann beruhigte sich das Feuer, das Rot machte einem freundlichen Blau Platz, und der Wind blähte die Segel eines Schiffs.
Sesostris kam nach Abydos zurück!
Sesostris – oder der Prophet? Hatte er etwa gesiegt?
Vielleicht hatte er ihre Gedanken verwirrt, und an Bord dieses Schiffs befand sich eine Meute blindwütiger Eiferer, entschlossen, das heilige Reich von Osiris zu verwüsten?
Der Kahle kam auf Isis zu.
»Da ist noch etwas sehr Unangenehmes… Weil wir jetzt noch eine weitere Verkörperung von Seth opfern müssen, den wilden Esel, hält einer der Ritualisten Nordwinds Gegenwart für vollkommen unzulässig. Er verlangt, dass wir ihn verjagen, oder noch schlimmer…«
»Wir sollen Ikers Gefährten töten, der uns gerade wieder das Leben gerettet und Bega gerichtet hat? Das käme einer Beleidigung der Götter gleich und würde ihren Zorn hervorrufen! Verjagten wir ihn, fehlte uns Seths
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