Das Geheimnis der Götter
Einwände dagegen hat, möge er sie jetzt vorbringen.«
»Bega hat seinen Eid gebrochen und sich der Sache des Bösen verschrieben«, erklärte der Kahle. »Er wollte den Baum des Lebens zerstören, die Mysterien des Osiris schänden und die Oberpriesterin von Abydos und ihre Schwester Nephthys ermorden. Die Liste seiner Verbrechen ist lang genug, um ihn schuldig zu sprechen. Er wird nicht mumifiziert, sondern zusammen mit einer roten Wachsfigur des Seth verbrannt. Von ihm wird nichts übrig bleiben.«
Der Kahle wusch Isis in der silbernen Schale des Sokar die Füße, dann schmückte er ihren Hals mit einer Zwiebelkette. Alle Teilnehmer der Mysterienfeier trugen solche Ketten mit einem Verschluss in Form des Lebensschlüssels, ehe sie die Ketten dann im Morgengrauen den Seelen der Gerechten opferten, um ihnen so das Licht zurückzugeben. Die Zwiebel sorgte für ein gereinigtes Gesicht und ein gesundes Herz und hielt die Schlange der Nacht von einem fern.
Am Ende des Rituals wurden Ikers fünf Sinne einen Spalt weit geöffnet. Ehe sie wieder richtig arbeiten konnten, waren weitere Verwandlungen notwendig.
Nachdem Seth besiegt, das Böse vertrieben und der Weg erleuchtet war, konnte die Barke des Osiris wieder in das Goldene Haus zurückkehren. Sekaris Schulter war verbunden worden, und er blieb wachsam wie immer.
Trotz dieser beachtlichen Erfolge konnte sich Isis nicht richtig freuen, weil ihr Angst die Kehle verschnürte. Wer würde im Roten Gebirge siegen – der Pharao oder der Prophet?
MONAT KHOIAK
Fünfundzwanzigster Tag (13. November)
MEMPHIS
Der Pharao sprach jeden einzelnen Satz des Morgenrituals so, als feierte er es zum letzten Mal.
In wenigen Stunden wären die Tempel von Memphis vielleicht dem Erdboden gleichgemacht, verschlungen von einem Feuerstrom, der sich danach über Abydos hermachen wollte.
Der König trug die Doppelkrone und einen Lendenschurz mit dem Bild des Phönix und verließ das Heiligtum, um sich auf den Weg zum Roten Gebirge zu machen.
Nach einem guten Stück Wegs befahl er seinem
Begleitschutz, ihm nicht weiter zu folgen.
Isis war ihr Werk gelungen, Iker befand sich kurz vor der Auferstehung. Aber die letzten Schritte dorthin waren sehr gefährlich.
Der Steinbruch glühte rot, die Felsen wurden zur Nahrung für ein prächtiges Seth-Feuer, das die Lava in diesem gewaltigen Kessel zum Sieden bringen sollte – damit konnten alle ewigen Werke der Pharaonen seit der Ersten Dynastie vernichtet werden.
Endlich befreit von einer Truppe von Mittelmäßigen spürte der Prophet seine zerstörerischen Kräfte wachsen. Wenn er Ägypten besiegte, besiegte er damit die ganze Welt und befreite sie von Maat.
Auf einmal stand Sesostris am Eingang des Steinbruchs, ungerührt von der Hitze und dem glühend heißen Boden.
»Da bist du ja endlich, Pharao! Ich wusste, du würdest nicht kneifen und dir einbilden, du könntest mich besiegen. Was für ein eitler Wahn! Dann wirst du jetzt also als Erster sterben, noch vor den ganzen Narren, die sich nicht zum wahren Glauben bekehren lassen.«
»Deine Verbündeten sind besiegt.«
»Was kümmert’s mich! Sie waren alle unfähig und gehören der Vergangenheit an. Ich aber bereite die Zukunft vor.«
»Ein gewaltsam aufgezwungener Glauben, unantastbare und mörderische Lehrsätze… Nennst du das vielleicht Zukunft?«
»Mein Mund spricht die Befehle Gottes aus, denen sich die Menschen zu unterwerfen haben!«
Der Hüne sah den Propheten unverwandt an. Dessen rote Augen blitzten, weil sie die Gegenwart dieses unbeugsamen Gegners nicht ertragen konnten.
»Ich bin im Besitz der einzigen und endgültigen Wahrheit, und niemand kann daran etwas ändern! Warum weigerst du dich nur, das zu begreifen, Sesostris? Deine Herrschaft neigt sich ihrem Ende zu, meine steht bevor. Früher oder später ergeben sich die Völker und werden meine Verbündete.«
»Nein, Ägypten ist das Königreich der Maat«, widersprach ihm der Pharao, »und nicht das eines blindwütigen Eiferers.«
»Knie nieder und verehre mich!«
Die weiße Krone verwandelte sich in einen Lichtstrahl, der so blendete, dass sein Gegner zurückweichen musste. Außer sich vor Wut packte der Prophet einen weiß glühenden Stein und schleuderte ihn auf Sesostris.
Eine Feuerkugel streifte leicht das Gesicht des Königs. Beim nächsten Wurf zielte der Prophet genauer und wollte Sesostris’ Stirn treffen. Doch der Uräus schnellte daraus hervor, die weibliche Kobra, und ließ mit einer
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