Das Geheimnis der Götter
Macht, eines der unabdingbaren alchemistischen Feuer.«
»Was schlägst du dann vor?«
»Wenn er seine Schuld verbüßt hat, muss Seth für immer Osiris auf seinem Rücken tragen und ihn schwimmend an der Oberfläche des Kräftemeers tragen. Er wird zu einem unzerstörbaren Schiff, das ihn in alle Ewigkeit fahren kann. Nordwind soll diese Rolle übernehmen.«
Zum Zeichen seiner Zustimmung hatte der Esel sein rechtes Ohr aufgestellt und trug dann aufmerksam und ernst seine kostbare Last. Fang ging ihm bei einer langsamen Prozession voraus, an der alle Ritualisten teilnahmen und die rund um den Tempel des Osiris führte. Die Priesterinnen spielten Flöte, die Priester besprengten den Boden mit Weihrauch. Der Kahle zog einen Schlitten, das Zeichen für den Gott Atum, »dem der ist und der nicht ist«. Diese, dem menschlichen Verständnis unzugängliche schöpferische Zweiheit beinhaltete eines der wichtigsten Geheimnisse der Entstehung von Leben. Sekari und der Hund blieben wachsam. Setzte man Iker nicht erheblichen Gefahren aus, wenn man ihn so zur Schau stellte?
Der Prophet hatte zwar keine Verbündeten mehr in Abydos, vielleicht aber während seines viel zu langen Aufenthalts den einen oder anderen bösen Zauber hinterlassen?
Die Inbesitznahme des heiligen Raums erfolgte ohne Zwischenfall. Mit der gleichmäßigen Gangart von Seths Tier schöpfte Ikers Mumie die Kraft, die sie für den nächsten Schritt benötigte.
Isis und Iker waren allein im Goldenen Haus und befanden sich vor akhet, dem Tor in die Welt des Lichts, das der Pharao immer beim Morgenritual öffnete, um die Schöpfung zu erneuern.
Wollte man Osiris’ Nachfolge antreten und auferstehen, musste man akh, ein lichtes Wesen werden. In dieser Gestalt vereinigte sich der Gott mit seinem Abbild, seinen Zeichen und seinen steinernen Körpern, wobei er aber das Geheimnis seines unerschaffenen Wesens wahrte.
Um mit Osiris in Verbindung zu treten, musste man Tag für Tag nach den Gesetzen der Maat leben. Entweder war Iker ein redlicher Mann, dann schritt das Werk seiner Vollendung entgegen, oder aber das grelle Leuchten dieser Tür würde ihn vernichten.
Weitere Voraussetzungen erwiesen sich als erforderlich: die verschiedenen Initiationen, das überzeugende Verhalten, die Ehrfurcht vor dem Wort und dem Schweigen, die Verehrung der Schöpfung. Hatte sich Iker auf seinem irdischen Lebensweg ausreichend mit diesen Grundlagen ausgerüstet?
Isis musste nun die Vereinigung von ba, der Vogel-Seele, und ka, der Kraft aus dem Jenseits, vollziehen. Von dieser geordneten Begegnung war die Entfaltung des akh –des lichten Wesens, abhängig. Verweigerten diese beiden wesentlichen Bestandteile ihre Vereinigung, konnte das dritte nicht erscheinen.
Isis sprach die Verwandlungssprüche und rief das Erwachen des machtvollen ka und die Ankunft des sonnendurchtränkten ba hervor.
In strahlende Helligkeit gehüllt durchschritt Ikers Mumie das Tor und vollzog augenblicklich eine Verwandlung, die der des metallischen Osiris entsprach. Die Vereinigung von ba und ka war vollzogen, die Vogel-Seele, akh, der Comata-Ibis konnte auffliegen.
»Re gibt dir das Gold des Osiris«, erklärte Isis. »Thot zeichnet dich mit dem Siegel aus reinem Metall, das von dem Großen Gott stammt. Deine Mumie ist fest und stark wie der Stein der Verwandlungen aus dem Östlichen Gebirge. Das Gold erleuchtet dein Gesicht, erlaubt dir zu atmen und deine Hände zu gebrauchen. Dank Maat und dem Gold der Götter gehst du vom Vergänglichen in die Unvergänglichkeit über. Sie bleibt bei dir und wird sich nicht mehr von dem Auferstehungskörper entfernen.«
Der Vollmond, das wiederhergestellte Auge, leuchtete hell und klar; trotzdem konnte man Orion sehen, der im Westen aufgegangen war.
Isis nahm ein Zepter mit einem Stern mit fünf Zacken am Ende und berührte damit Ikers Stirn. Dann hob sie mühelos eine gewaltige Harpune aus Zedernholz hoch, die mit zwei Schlangen verziert war, und legte ihren Haken auf das Gesicht der Mumie.
»Erscheine in Gold, leuchte wie Elektrum und sei für immer lebendig.«
MONAT KHOIAK
Siebenundzwanzigster Tag (15. November)
ABYDOS
Der Kahle empfing an der Anlegestelle die Große Königliche Gemahlin und die übrigen Mitglieder des Goldenen Kreises.
»Wir hatten eine schlechte Reise!«, donnerte Nesmontu. »Es gab keinen Wind, mehrere Seeleute wurden krank, und der Fluss wollte uns immer wieder irgendwelche üblen Streiche spielen. Aber jetzt sind wir endlich
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