Das Geheimnis der Götter
Pharao die Fassung verlieren. Und dann ist er verwundbar.«
Der Kahle legte die Hand auf seine Stirn, und Iker wachte auf.
»Du hast geschlafen. Nun hast du unbeschadet den Hafen der Verwandlungen erreicht. Der Stein kann jetzt zur Baustelle geschleppt werden.«
Drei Handwerker zogen den Schlitten.
Es war weder Tag noch Nacht, sondern ein angenehmes Halbdunkel. Diese neue Reise erfolgte schrittweise, wie die glückliche Rückkehr in eine seit langer Zeit verlassene Heimat. Sie gelangten an die Schwelle zu einer verschlossenen Tür.
»Steh auf und setz dich dann auf die Fersen«, befahl ihm der Kahle.
Die Bewegungen fielen Iker schwer.
»Allein Osiris sieht und hört«, sagte der Ritualist. »Doch der Eingeweihte hat an diesem Sehen und Hören Anteil, wenn sein Auge das des Falken von Horus und sein Ohr das der Kuh von Hathor wird. Dieses Auge handelt und erschafft, das Ohr nimmt die Stimme aller Lebewesen wahr, vom Stern bis zum Stein. Auge und Ohr sind die beiden Pforten zur Erkenntnis. Sieh bis ans Ende der Finsternis, höre die Worte der Entstehung der Welt, durchquere das Himmelsgewölbe und erhebe dich zum Großen Gott. Sein heiliges Land verschluckt die zerstörerische Glut. Sei hellsichtig, nüchtern und ruhig wie Osiris, geh in Frieden in das Reich des Lichts, wo er für immer lebt.«
Die Tür zum Goldenen Haus öffnete sich.
»Mach dich auf den Weg, Iker.«
Der junge Mann erhob sich und verspürte den
unwiderstehlichen Drang, vorwärts zu gehen. Langsam betrat er das Heiligtum.
»Geh jetzt über das Wasser.«
Der silberne Boden schien flüssig, sein Fuß versank darin. War derjenige, der über die Wasser seines Herrn schritt, nicht der vollkommene Diener? Iker ging weiter.
Die Oberfläche wurde hart, und ihr entsprang ein silbernes Leuchten, das jetzt den Schreiber umgab.
»Nun wirst du vor den Großen Gott geführt«, erklärte der Kahle und legte Iker ein Band um die Stirn, das seshed. »Nun trägst du das Zeichen, das dich befähigt, deinen Blick auf die Welt zu richten, den Lebenden aus der Finsternis zu holen und dir Erleuchtung zu schenken.«
Die Berührung durch den Stoff weckte die Kräfte des Krokodils in ihm, die den Königlichen Sohn beseelten, seit er auf den Grund eines Sees im Fayyum getaucht war. Als das Band auf diese Kräfte traf, wurde ein unerhört heller Blitz ausgelöst.
Der weißen Haut entledigt, berührte Iker den Himmel, streifte den Bauch der Sterne und tanzte mit ihnen.
Als sein Taumel nachließ, erblickte er Sehotep, den Oberaufseher über alle königlichen Bauwerke und Herrn aller Handwerker.
»Du bist nun Nachfolger von Osiris«, erklärte der ihm. »An dir ist es, ihn zu verehren und sein Werk fortzusetzen.«
Sehotep zog dem jungen Mann ein Gewand an, das mit fünfarmigen Sternen übersät war.
»Deine Hände sind rein. Du wirst nun ständiger Priester von Abydos und Diener des Großen Gottes. Finde die Arbeit, die sich im Goldenen Haus verbirgt. Aus ihr wird eine Statue geboren und Materie in Leben verwandelt.«
»Wie wird Osiris genannt?«, fragte ihn der Kahle. Die Sprüche der Erkenntnis gingen Iker durch den Sinn.
»Ort der Schöpfung, Vollendung des Rituals und Sitz des Auges. Als Quelle des Lebens setzt er Maat ein und herrscht über die Gerechten.«
»Erbaue den neuen Thron von Osiris.«
Iker legte die einzelnen Bestandteile aufeinander: Gold, Silber, Lapislazuli und Johannisbrotbaumholz. Ganz von selbst taten sie sich zusammen und formten einen Sockel, auf den Sehotep eine Osiris-Statue stellte.
»Schmücke die Büste des Herrn von Abydos mit Lapislazuli, Türkis und Bernstein, damit sie seinen Körper beschützen.«
Ikers Hände zitterten nicht, und die Brust von Osiris war nun vor jeder Gefahr geschützt.
»Als Herr über die Geheimnisse sollst du dem Gott jetzt seine Krone aufsetzen. Umrahmt von zwei Straußenfedern und mit einem goldenen Blatt bedeckt, überragt sie den Himmel und vereinigt sich mit den Sternen.«
Iker setzte der Statue die Krone auf.
Dann gab er ihr zwei Zepter in die Hände: Die Geißel des Bauern, das Zeichen für die dreifache Geburt, und den Krummstab des Hirten, mit dem er die Tiere zusammentreibt.
»Damit hat der Königliche Sohn den ersten Teil seines Auftrags erledigt«, erklärte der Kahle. »Die neue Statue von Osiris wird die bevorstehende Mysterienfeier beseelen. Nun muss er noch die Herrin von Abydos wecken.«
Drei Lampen beleuchteten die Kapelle, in der die alte Barke des Großen Gottes aufbewahrt
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