Das Geheimnis der Götter
so hohe Belohnung anzubieten, weil Gua trotz seiner großen Beliebtheit unbestechlich blieb. Nicht selten verschob er die Behandlung eines hohen Würdenträgers, um einen einfachen Menschen zu verarzten, der ihn seiner Meinung nach dringender brauchte. Auch mit Druck konnte man sein Verhalten nicht beeinflussen, und es war besser, ihn nicht unnötig zu belästigen.
Medes’ Frau hatte man inzwischen herausgeputzt, aber sie wurde nach wie vor von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt, weshalb das Mädchen ihr immer wieder neu das Haar richten musste, ohne sich darüber beklagen zu dürfen, weil sie sonst auf der Stelle entlassen oder zumindest wüst beschimpft worden wäre. Alle Dienstboten fürchteten die Boshaftigkeit ihrer launischen Herrin.
Zu Medes’ Erstaunen erschien Gua noch vor dem
Mittagessen, wie immer mit seiner alten Ledertasche bestückt. Ohne den Garten der prunkvollen Villa auch nur eines Blickes zu würdigen, steuerte er eilig auf das Zimmer seiner Patientin zu.
»Ich bin Euch sehr dankbar, dass Ihr so schnell kommen konntet«, empfing ihn Medes herzlich. »Ich fürchte, wir müssen ihre Dosis verdoppeln.«
»Wer ist der Arzt, Ihr oder ich?«
»Bitte entschuldigt, ich wollte nicht…«
»Lasst mich jetzt mit ihr allein. Ich möchte auf keinen Fall von irgendjemand gestört werden!«
Zwei Fragen beschäftigten Gua: Erstens, warum Medes, der gewissenhafte, unbescholtene, umgängliche und offenherzige Beamte mit seinem ausgezeichneten Ruf an Beschwerden litt, die von einer Leber stammten, die dieser Beschreibung in keiner Weise entsprach? Dieses Organ spiegelte das Wesen eines Menschen wider und log nicht. Aber Medes verstellte sich eindeutig. War das nur das zielgerichtete Verhalten des mächtigen Beamten, oder gab es dafür andere, verborgene Gründe?
Außerdem wollte Gua den wahren Grund für die Krankheit von Medes’ Gattin erfahren. Selbstsüchtig, herausfordernd, über die Maßen aufgeregt und tobsüchtig, wie sie war, brachte sie es auf eine beeindruckende Anzahl von Fehlern. Aber seine Behandlung hätte ihren Zustand eigentlich bessern und den ständigen Aufregungen ein Ende machen müssen.
Dass er als Arzt an ihr zu scheitern schien, gab Gua zu denken.
»Endlich! Ich dachte schon, ich müsste sterben.«
»Ihr seht aber ziemlich lebendig aus – und immer noch viel zu dick.«
Sie wurde rot und begann, wie ein kleines Mädchen zu reden.
»Das kommt nur davon, dass ich so viel Angst habe. Dann kann ich süßem Gebäck und fettem Essen nicht widerstehen. Bitte verzeiht mir, ich flehe Euch an!«
»Legt Euch hin und gebt mir Eure Handgelenke. Ich will mir Euren Puls anhören.«
Endlich entspannte sie sich und lächelte ihn an. Obwohl er dieses Getue verabscheute, setzte Gua die Untersuchung fort.
»Nichts Beunruhigendes«, stellte er dann fest. »Strenge Entwässerung dürfte für einen guten Allgemeinzustand sorgen.«
»Aber was ist mit meinen Nerven?«
»Die möchte ich nicht länger behandeln.«
Entsetzt fuhr sie hoch. »Ihr… Ihr werdet mich doch nicht im Stich lassen?«
»Die Heilmittel hätten helfen müssen, das haben sie aber nicht. Das heißt, wir müssen erneut nach dem Grund Eures Leidens suchen, um herauszufinden, warum die Mittel Eure Beschwerden nicht lindern können.«
»Ich kenne den Grund nicht, Gua…«
»O doch, den kennt Ihr wohl.«
»Ich leide so!«
»Es gibt etwas, das Euch quält, etwas so Schreckliches, das auf keine Behandlung anspricht. Denkt nach und befreit Euch davon, dann seid Ihr geheilt.«
»Das sind nur meine Nerven, weiter nichts!«
»Mit Sicherheit nicht.«
Sie klammerte sich an Gua: »Verstoßt mich nicht, ich beschwöre Euch!«
Er machte sich von ihr los.
»Der Apotheker Renseneb kann Pillen machen, die jede noch so große Aufregung beruhigen können. Falls auch diese versagen sollten, würde ich meine Vermutung bestätigt sehen. Ihr verbergt ein schweres Vergehen in Eurem Herzen, das nagt an Euch und treibt Euch in den Wahnsinn. Gesteht es, dann seid Ihr befreit.«
Gua nahm seine schwere Tasche und verließ das Haus von Medes. Ein Mädchen mit Lungenentzündung wartete auf ihn.
»Worüber habt ihr gesprochen?«, fragte Medes seine Frau.
»Über meinen Zustand… Vielleicht werde ich bald sterben, mein Liebling!«
Ausgezeichnete Neuigkeiten, dachte der Sekretär des Königlichen Rates.
»Gua empfiehlt eine äußerst grobe Behandlung«, fuhr sie ängstlich fort.
»Wir sollten ihm vertrauen.«
Sie warf sich ihm an den Hals. »Was
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