Das Geheimnis Der GroÃ?en Schwerter / Die Nornenkönigin: Bd 3
vor mir verbirgt. Er ist tief in ihr Inneres geflohen – wie eine Maus sich versteckt, wenn sich der Schatten der Eule über die nächtlichen Felder legt.«
»Was soll das heißen?« Eolair gab sich Mühe, nicht ungeduldig zu klingen.
»Dass sie Angst hat. Sie fürchtet sich. Sie ist wie ein Kind, das zuschauen musste, wie man seine Eltern tötete.«
»Sie hat viel Tod gesehen, hat ihren Vater und ihren Bruder begraben.«
Die Sitha bewegte langsam die Finger hin und her, eine Geste, die Eolair nicht verstand. »Das ist es nicht. Jeder, Zida oder Sudhoda – Kind der Morgendämmerung oder Sterblicher –, der lange genug gelebt hat, kennt den Tod. Er ist schrecklich, aber man kann ihn begreifen. Doch ein Kind versteht ihn nicht. Irgendetwas hat diese Frau – Maegwin – getroffen, das ihren Verstand übersteigt. Es hat ihren Geist in Angst versetzt.«
»Wird sie gesund werden? Könnt Ihr etwas für sie tun?«
»Für den Moment nicht. Ihr Körper ist nicht krank. Doch der Weg ihres Geistes ist eine andere Sache. Ich muss darüber nachdenken. Vielleicht gibt es noch eine Antwort, die ich jetzt nicht sehe.«
Es war schwer, Kira’athus Katzengesicht mit den hohen Wangenknochen zu deuten, aber viel Hoffnung schien nicht darin zu liegen. Der Graf ballte die Fäuste und presste sie an die Schenkel. »Und kann ich etwas für sie tun?«
Etwas dem Mitleid sehr Ähnliches trat in die Augen der Sitha. »Wenn sie ihren Geist tief genug versteckt hat, kann sie nur selbst den Weg zurückfinden. Ihr könnt es ihr nicht abnehmen.« Sie stockte, als suche sie nach tröstlichen Worten. »Seid freundlich zu ihr. Das ist eine Hilfe.« Sie drehte sich um und glitt davon.
Nach langem Schweigen nahm der alte Craobhan wieder das Wort. »Maegwin ist wahnsinnig, Eolair.«
Der Graf hob abwehrend die Hand. »Sagt das nicht.«
»Ihr könnt es nicht ändern, nur weil Ihr es nicht hören wollt. Während Ihr fort wart, ist ihr Zustand noch schlimmer geworden. Ich habe Euch erzählt, wo wir sie fanden, oben auf dem Bradach Tor, laut redend und singend. Schutzlos hat sie in Wind und Schnee gesessen, Mircha weiß, wie lange. Und sie sagte, sie habe die Götter gesehen.«
»Vielleicht hat sie sie ja gesehen«, entgegnete Eolair bitter. »Wer bin ich, daran zu zweifeln … nach dem, was ich selbst in diesem verfluchten letzten Zwölfmonat erlebt habe? Vielleicht war es zu viel für sie.« Er stand auf und rieb die schweißnassen Hände an der Hose. »Ich werde jetzt zu Jiriki gehen.«
Craobhan nickte. Seine Augen waren feucht, aber sein Mund hart und fest. »Zerstört Euch nicht selbst, Eolair. Gebt nicht nach. Wir brauchen Euch noch mehr, als sie es tut.«
»Wenn Isorn und die anderen zurückkommen«, sagte der Graf, »dann teilt ihnen mit, wohin ich gegangen bin, und bittet sie um die Freundlichkeit, auf mich zu warten – ich glaube nicht, dass ich mich bei den Sithi allzu lange aufhalten werde.« Er sah hinaus nach dem Himmel, der in der beginnenden Dämmerung dunkler wurde. »Ich möchte noch heute Abend mit Isorn und Ule sprechen.« Er klopfte dem Alten auf die Schulter und verließ die Halle der Schnitzereien.
»Eolair.«
Er drehte sich in der großen Außentür um und erkannte Maegwin, die hinter ihm in der Eingangshalle stand. »Herrin! Wie fühlt Ihr Euch?«
»Gut«, antwortete sie leicht, aber ihre Augen straften sie Lügen. »Wohin geht Ihr?«
»Zu den …« Er konnte sich gerade noch zurückhalten. Fast hätte er gesagt: »Zu den Göttern.« War Wahnsinn ansteckend? »Ich gehe zu Jiriki und seiner Mutter.«
»Ich kenne sie nicht«, sagte Maegwin. »Aber ich würde Euch trotzdem gern begleiten.«
»Mich begleiten?«, fragte er verwundert.
»Ja, Graf Eolair. Ich möchte Euch begleiten. Ist das so schrecklich? Wir sind doch gewiss keine so bitteren Feinde?« Ihre Worte klangen hohl, wie ein Scherz auf der obersten Stufe des Galgens.
»Natürlich könnt Ihr mit mir kommen, Herrin«, erwiderte Eolair hastig. »Natürlich, Maegwin.«
Obwohl Eolair am Lager der Sithi, das sich über den Rücken von Herns Hügel erstreckte, keine Veränderungen feststellen konnte, erschien es ihm noch kunstvoller als vor ein paar Tagen und zugleich noch mehr mit seiner Umgebung verwachsen. Es sah aus, als wäre es nicht das Werk weniger Stunden, sondern blühe an diesem Ort, seit die Berge jung waren. Es strahlte Frieden und weiche, natürliche Bewegung aus. Die bunten Zelthäuser wogten wie Pflanzen in einem Flussstrudel. Der Graf spürte
Weitere Kostenlose Bücher