Das Geheimnis Der GroÃ?en Schwerter / Die Nornenkönigin: Bd 3
darin, sich nur auf sich selbst zu verlassen, gegen jedes Hindernis anzukämpfen und sich durch niemanden von den wichtigen Dingen des Lebensabhalten zu lassen. Aber es war genau dieser Kurs, der sie in ihre jetzige üble Lage geführt hatte. Im festen Glauben, sie allein könne etwas dazu tun, den Lauf des Schicksals zu ändern, war sie aus der Burg ihres Onkels geflohen. Aber die trügerischen Gezeiten der Geschichte hatten sie überrascht, und genau das, was sie verhindern wollte, war eingetreten – Naglimund war gefallen, Josua besiegt. Ihr Leben war sinnlos geworden. So war es ihr am klügsten vorgekommen, den Kampf einzustellen, den hartnäckigen Widerstand gegen den Gang der Dinge aufzugeben und sich einfach treiben zu lassen. Doch dieser Plan hatte sich als ebenso unklug erwiesen wie der erste, denn ihre eigene Trägheit hatte Aspitis in ihr Bett gelockt und würde sie nun bald zu seiner Gemahlin machen. Beinahe hätte Miriamel sich hinreißen lassen, Aspitis zu töten – um danach vermutlich von seinen Männern umgebracht werden. Aber daran hatte Gan Itai sie gehindert, und nun trieb und kreiste sie vor sich hin wie die Eadne-Wolke, die müßig auf einem von keinem Wind bewegten Meer dahintrieb.
Es war eine Stunde der Entscheidung wie jene, von der Miriamels Lehrer ihr einst erzählt hatten – wie damals, als Pelippa, verwöhnte Gattin eines Edelmannes, sich entscheiden musste, ob sie sich zum verurteilten Usires bekennen wollte. Die Bilder in ihrem Kindergebetbuch standen Miriamel noch deutlich vor Augen. Die kleine Prinzessin war vor allem von der Silberfarbe fasziniert gewesen, mit der Pelippas Kleid gemalt war. An Pelippa selbst hatte sie dabei kaum gedacht, so wenig wie an die anderen, wirklichen Menschen, von denen die Legenden erzählten und deren Abbilder so manche Wand schmückten. Erst vor kurzem hatte sie begonnen, danach zu fragen, wie es solchen Leuten zumute gewesen sein musste. Waren auch die kriegführenden Könige, unsterblich gemacht auf den Sancellanischen Wandteppichen, so in ihren Hallen aus grauer Vorzeit auf und ab gegangen und hatten sich den Kopf darüber zerbrochen, wie sie sich entscheiden sollten – ohne sich groß darum zu kümmern, was wohl die Menschen späterer Jahrhunderte davon halten würden? Oder hatten sie die kleinen Probleme des Alltags ausblenden können, um nur noch das Wesentliche zu betrachten? Haben sie deshalb so weise Entscheidungen treffen können?
Während das Schiff sanft vor sich hinschaukelte und am Himmel die Sonne emporstieg, marschierte Miriamel durch die Kabine und grübelte. Es musste doch einen Weg geben, wie man kühn, aber nicht unklug handeln könnte. Biegsam musste sie sein, aber nicht formbar und nachgiebig wie Kerzenwachs.
Im Lampenlicht ihrer Kabine, versteckt vor der Sonne, brütete Miriamel. Sie hatte in der letzten Nacht kaum geschlafen und bezweifelte, dass es in der kommenden Nacht anders sein würde … falls sie sie überhaupt erlebte.
Ganz leise klopfte es gegen ihre Tür. Miriamel hatte geglaubt, so weit gefasst zu sein, dass sie selbst Aspitis gegenübertreten könnte, aber als sie nach dem Türgriff tastete, zitterten ihre Finger.
Es war Gan Itai. Einen Moment lang dachte Miriamel, es müsse eine weitere Niskie an Bord gekommen sein, so sehr hatte sich die Seewächterin verändert. Ihre goldbraune Haut wirkte fast grau. Das Gesicht war schlaff und verhärmt, und die eingesunkenen, rotgeränderten Augen schienen Miriamel aus weiter Ferne anzustarren. Die Niskie hatte sich eng in ihren Mantel gehüllt, als fürchte sie, sich in der drückenden, feuchten Luft, die den Sturm ankündigte, zu erkälten.
»Ädon erbarm dich!« Miriamel zog sie in die Kabine und schob die Tür zu. »Gan Itai! Seid Ihr krank? Was ist mit Euch geschehen?« Aspitis musste den Diebstahl bemerkt und auf dem Weg zu ihr sein – natürlich, dachte Miriamel fast erleichtert –, nur das konnte der Grund sein, dass die Niskie so furchtbar aussah.
»Kann ich etwas für Euch tun? Einen Schluck Wasser?«
Gan Itai hob die wettergegerbte Hand. »Ich brauche nichts. Ich habe … nachgedacht.«
»Nachgedacht? Was meint Ihr?«
Die Niskie schüttelte den Kopf. »Unterbrich mich nicht, Mädchen. Ich muss dir ein paar Dinge erklären. Auch ich habe einen Entschluss gefasst.« Sie ließ sich so schwer auf das Bett sinken, als sei sie über Nacht um vierzig Jahre gealtert. »Erstens – weißt du, wo das Landungsboot liegt?«
Miriamel nickte. »Etwa mittschiffs, auf
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