Das Geheimnis der Hebamme
Umkreis von einem Tagesmarsch kümmern.
Doch von Wulfharts blutrünstiger Drohung getrieben, war sie unverhofft auf eine wochenlange Reise gegangen, hatte mit Wegelagerern kämpfen müssen, einer Markgräfin das Leben gerettet, war verheiratet worden und reiste nun in einem gut gepolsterten Karren zusammen mit dem jüngsten Sohn des Markgrafen in eine riesige fremde Stadt zum Hoftag des Kaisers.
Eine Woche war sie schon mit einem langen Zug unterwegs, der von schwer bewaffneten Reitern geschützt wurde. Ein gewaltiges Gefolge reiste mit Otto und Hedwig nach Würzburg: Ritter, Reisige, Diener, Mägde und auch der hagere Küchenmeister, der die schwierige Aufgabe zu bewältigen hatte, so viele Leute unterwegs standesgemäß zu verpflegen, sofern sie nicht bei einem Gefolgsmann Ottos übernachteten. Der Meißner Bischof Gerung hatte sich dem Zug mit seiner eigenen Gesandtschaft angeschlossen. Am Morgen dieses Tages war noch einmal ein Dutzend Bewaffnete aus einer entfernten Burgwartei zu ihnen gestoßen.
Marthe verbrachte die meiste Zeit bei Dietrich, dem die Markgräfin nicht erlauben wollte, die Reise auf seinem braven kleinen Pferd zurückzulegen, bevor er besser bei Kräften war. Der Junge besaß nahezu grenzenloses Vertrauen in ihre Heilkünste, und sie hatte ihn wegen seiner Neugier und Aufgeschlossenheit lieb gewonnen. Doch sie spürte auch, dass Dietrich die Vorstellung bedrückte, zum Hoftag könnte mit dem Gefolge seines Großvaters auch sein Bruder Albrecht kommen und ihm erneut das Leben schwer machen.
Bis zur letzten Rast hatte sie dem Jungen mit Geschichten dieLangeweile vertrieben. Doch dann war ein Geistlicher mit mürrischem Gesichtsausdruck in den Wagen gekommen, hatte ihr bedeutet, zu verschwinden und begonnen, Dietrich die nächste Lektion in Latein zu erteilen.
Marthe war von dem rumpelnden Gefährt heruntergeklettert, um das nächste Stück Wegstrecke gemeinsam mit Susanne zu Fuß zurückzulegen.
Susanne sollte nach der Rückkehr vom Hoftag mit dem Gehilfen des Hufschmieds verheiratet werden. »Er wird mich nehmen, auch wenn man dann schon etwas sieht«, hatte sie versichert und die Hände über ihren Bauch gelegt. »Dafür hat die Markgräfin gesorgt. Gott schütze sie.«
Susanne erzählte Marthe von ihrem Unglück. Trotz aller Vorsicht hatte sie einem der Ritter nicht ausweichen können und musste bald feststellen, dass sie schwanger war. Hedwig war sehr erbost darüber gewesen, was einem ihrer Mädchen angetan worden war, hatte umgehend die Hochzeit mit dem Schmiedgehilfen arrangiert und ihm eine großzügige Mitgift in Aussicht gestellt. Das würde Susanne davor bewahren, in eines der billigen Hurenhäuser vor dem Burgtor ziehen zu müssen, die hauptsächlich von den Wachen aufgesucht wurden.
»Was meinst du – wird er nett zu mir sein, auch wenn mein Kind nicht von ihm ist?«, fragte sie bang und nicht zum ersten Mal. »Kannst du mir nicht ein Zaubermittel geben, damit er mich mag?«
Marthe seufzte. »Du weißt doch, dass ich so etwas nicht habe und auch nicht zubereiten kann. Ich kenne mich nur mit Heilpflanzen aus, nicht mit Zauberei.«
»Das kannst du den anderen weismachen! Ich bin deine Freundin. Sei nicht so eingebildet, sondern hilf mir.«
»Beim Hoftag gibt es bestimmt fahrende Händler, die Amuletteoder Liebestränke verkaufen. Vielleicht findest du dort etwas.«
Susanne schwieg beleidigt.
Seit sich herumgesprochen hatte, dass Marthe heilkundig war und Hedwig sie sogar dem Medicus vorzog, bekam sie regen Zulauf von den Mitreisenden. Manche kamen am helllichten Tag und baten sie um ein Mittel gegen Zahnreißen, Gicht oder Husten. Andere hingegen – vornehmlich Frauen – suchten sie im Schutz der Dämmerung auf und fragten nach Liebestränken oder Mitteln, mit denen sie sich ihre Männer vom Leib halten wollten. So höflich wie nur möglich schickte sie diese wieder weg.
Die Bitten abzulehnen war nicht weniger gefährlich, als solche Dinge auszuhändigen, selbst wenn sie welche gehabt hätte.
Wenn sie diese mögliche Kundschaft heimlich beobachtete, war das eine gute Gelegenheit, einen Teil des Wissens anzuwenden, das ihr Josefa beigebracht hatte.
Marthe hatte während der Tage in Meißen jeden freien Augenblick genutzt, um von der weisen Frau zu lernen. Und so kurz die Zeit auch gewesen war, wurden es die vielleicht bisher wichtigsten Tage ihres Lebens.
Bei Josefa hatte sie gelernt, die heilenden Kräfte ihrer Hände zu verstehen. Jetzt konnte sie das ungute Gefühl
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