Das Geheimnis der Hebamme
sie nicht wegläuft.«
Wilhelm sah Marthe verlegen von der Seite an und verbeugte sich dann ungelenk vor Berthold. »Wie Ihr wünscht, Herr. Wohin soll ich sie bringen?«
»Teil sie zur Arbeit auf meinen Feldern ein. Aber vorher soll sie nach denjenigen sehen, denen etwas fehlt. Dann bringst du sie wieder in mein Haus.«
Marthe war verblüfft über die Dreistigkeit, mit der Berthold sie einfach behalten wollte. Aber sie war sicher, dass man sie zu Hause bald vermissen und ihre Herausgabe fordern würde. Also folgte sie Wilhelm widerspruchslos. Sie hatte schon beim Betreten des Ortes gesehen, dass hier eine Heilkundige dringend gebraucht wurde, und wollte bleiben, bis sie zumindest die schlimmsten Fälle versorgt hatte.
Um sie im Auge behalten zu können, hatte Berthold angewiesen, dass sie sich mitten auf dem Dorfplatz um die Kranken kümmern sollte. So konnte sie sich nur den Beschwerden zuwenden, für die niemand mehr ausziehen musste als schicklich war. Bis zum Einbruch der Nacht behandelte sie eitrige Verletzungen an Händen und Füßen, räudige Haut, sich lockernde Zähne und schlimme Hustenattacken. Dabei suchte sie unauffällig nach einer Möglichkeit, in der Dunkelheit wegzulaufen. Aber ein kräftiger Mann mit finsterer Miene blieb stets in ihrer Nähe und ließ sie nicht aus den Augen.
Sie wurde unruhig, als Wilhelm sie am Abend erneut in Bertholds Haus brachte.
Der Ritter schickte die anderen hinaus und musterte sie mit merkwürdigem Gesichtsausdruck. Als er sie schließlich ansprach, klang seine Stimme sonderbar.
»Du bist also die Hexe, die den Astrologen und den Medicus von Ottos Hof vertrieben hat? Der zuliebe Christians Knappe seinen ersten Mann getötet hat und deretwegen eintumber Reisiger aus Franken immer noch vor Angst schlottert?«
Marthe fragte sich verwundert, woher Berthold das alles wusste, entgegnete aber nichts.
Zögernd hob Berthold eine Hand an ihre Wange. Doch er berührte sie nicht, sondern ließ die Hand wieder sinken. Bin ich ihm unheimlich?, dachte Marthe.
Dann drehte er sich um und holte einen derben Strick. »Lass dir ja nicht einfallen, hier irgendwelchen Hexenzauber auszuprobieren oder wegzulaufen!«
Er knotete ihr den Strick eng um die Taille, warf das Ende über einen der Dachbalken und befestigte ihn so weit oben, dass sie ihn nicht erreichen konnte.
»Iss das und schlaf dann!« Er warf ihr ein Stück Brot zu und ging. Marthe hörte noch, wie er draußen befahl, das Haus zu bewachen. Eine alte Frau kam herein, musterte sie mit verkniffenem Gesicht und machte sich dann wortlos am Herdfeuer zu schaffen.
Marthe aß das Brot, dann rollte sie sich zusammen und überlegte. Entbindungen dauerten oft länger. Vor dem nächsten Tag würde sich in ihrem Dorf niemand wundern, wenn sie nicht zurückkam. Jeder würde davon ausgehen, dass sie sich noch um ein paar Kranke kümmerte.
Warum hat sich Hildebrand nicht wie damals Christian zusichern lassen, dass ich unbeschadet wieder zurückkommen darf?, dachte sie missgelaunt. Andererseits – gegen Bertholds Befehle würde Wilhelms Wort kaum gelten. Wahrscheinlich hatte Berthold von Anfang an geplant, sie zumindest eine Zeit lang hier zu behalten, weil sich in seinem Dorf niemand richtig auf Krankheiten und ihre Heilung verstand.
Spät in der Nacht kam der Ritter zurück und schlurfte zu ihrem kargen Lager. Sie erstarrte und stellte sich schlafend.Berthold roch stark nach Bier. Aber er verharrte nur einen Moment, ging dann zum Tisch und ließ sich von der alten Frau noch mehr Bier bringen.
Wie ein Stück Vieh an einen Strick gebunden und frierend, aber unbehelligt, verbrachte Marthe die Nacht.
Als Berthold ihr am nächsten Morgen den Strick abnahm, schlug sie ihm vor, jetzt gleich und nicht erst in der Dämmerung mit der Behandlung der Kranken zu beginnen.
»Ich kann weder dich noch die anderen auf den Feldern entbehren«, sagte der mürrisch.
»Aber wenn es ihnen schnell besser geht, werden sie auch schnell besser für Euch arbeiten können. Und bei Tageslicht kann ich leichter erkennen, was ihnen fehlt«, versuchte Marthe, ihn zu überzeugen.
»Meinetwegen. Aber halt dich nicht zu lange damit auf! Sag ihr, was du brauchst.« Mürrisch wies er auf die alte Frau, die seinen Haushalt besorgte.
Marthe bat die Alte um heißes Wasser und saubere Tücher und stellte einen Schemel in die Dorfmitte, um Kranke und Leidende zu empfangen.
Wieder ließ der bärbeißige Wächter sie nicht aus den Augen.
Doch am Nachmittag
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