Das Geheimnis der Hebamme
verlasst Euch nicht darauf. Wir werden noch ein paar Reisige in Dienst nehmen müssen.«
Aufgeregt kamen Karl und Wiprecht zu Marthe und den Mädchen ins Haus und berichteten haarklein von den Ereignissen. Johanna und Marie lauschten mit runden Augen ihrem Bericht, während Marthe Suppe austeilte.
Dabei schaute sie immer wieder aus der Fensterluke. Als die anderen endlich aufgegessen hatten, zerrte sie den Tisch ein Stück Richtung Fenster, um das Geschehen auf der anderen Seite des Baches im Auge behalten zu können, während sie getrocknete Kräuter zerstieß.
»Christian hat für die Nacht Wachen eingeteilt, ich werde als Erster gehen«, verkündete Karl und war schon unterwegs nach draußen.
»Ihr zwei bleibt im Haus«, ermahnte Marthe die Mädchen.
»Kommt sonst der böse Mann und schlägt uns?«, fragte Marie.
»Ritter Christian schützt uns«, verkündete Johanna voller Überzeugung. »Aber du musst brav sein und alles befolgen, was er befiehlt.«
Einmal mehr wunderte sich Marthe über die Worte ihrer älteren Stieftochter. Das Mädchen wurde ihr immer ähnlicher.
Sie strich Marie zärtlich über den Kopf und fragte Johanna: »Willst du mir helfen?«
Die kam sofort herüber. Der Umgang mit Heilpflanzen faszinierte Johanna. Sie konnte gar nicht genug darüber erfahren und wollte alles lernen, was ihre Ziehmutter wusste.
Doch diesmal war Marthe nicht richtig bei der Sache. Während Johanna mit geschickten Händen Blätter und Blüten von den Stielen zupfte, beobachtete Marthe weiterhin, was sich am anderen Ufer tat.
Randolf stolzierte dort auf und ab und gab Kommandos.
»Näher ran! Ich will das Pack immer vor Augen haben – und sie sollen mich immer vor Augen haben«, rief er so laut, dass ihn die Siedler deutlich verstehen konnten, während er den Standort des künftigen Herrenhofes markierte. Er befahl seinen Knechten, Zelte aufzubauen, Holz zu schlagen und sofort mit dem Bau des Herrenhauses zu beginnen. Dann schwang er sich auf sein Pferd und verließ den Ort seiner vorläufigen Niederlage Richtung Bertholdsdorf.
Erleichtert holte Marthe tief Luft und wollte sich ihren Mixturen zuwenden. Doch in genau diesem Augenblick sah sie Christian auf ihre Kate zukommen.
»Lasst uns für einen Moment allein«, forderte der Ritter Wiprecht und die Mädchen auf. Während die drei überrascht das Haus verließen, richtete er seinen Blick auf Marthe, die fastverängstigt wirkte. Fürchtet sie mich immer noch?, schoss es Christian durch den Kopf.
Sie musste inzwischen sechzehn Jahre alt sein. Aus dem verschreckten und zugleich entschlossenen Mädchen, das sich auf der Flucht vor einem grausamen Burgherrn seinem Siedlertreck angeschlossen hatte, war eine junge Frau geworden, die auf faszinierende Weise Zartheit und Kraft in sich vereinte. Sie war schön, ganz gleich, ob auf Hedwigs Befehl herausgeputzt im Audienzsaal des Kaisers oder im schlichten Bauernkleid und mit grünen Fingern hier in der Kate, wo der kräftige Duft von Minze und Odermennig hing. Auch nach zwei Jahren Ehe war bei ihr noch keinerlei Anzeichen einer Schwangerschaft zu erkennen. Vielleicht rührt Wiprecht sie wirklich nicht an, hoffte er wieder einmal.
Der Anstand hätte erfordert, dass Christian vor aller Augen mit ihr sprach. Doch was soll’s, dachte er, ich bin der Herr. Das hier ging Wiprecht nichts an. Und ein eindringlich warnendes Gefühl hielt ihn davon ab, sie den Blicken der fremden Männer auszusetzen, die ins Dorf eingedrungen waren.
Mit gesenktem Blick stand Marthe da, während ihre Gedanken durcheinander schwirrten. Weshalb war Christian gekommen? Zum letzten Mal hatte er die Kate vor einem Jahr betreten, als er ihr und Wiprecht mitgeteilt hatte, dass sie mit ihm nach Meißen reisen solle. Wenig später, auf dem Weg zum Kaiser, hatte er sie vor Oswald und Ludolf gerettet und geküsst.
Warum wollte er jetzt mit ihr allein sprechen, wo er seitdem ihr gegenüber so abweisend war? Ob er nun doch erfahren hatte, dass sie mehr als die anderen Grund hatte, Randolf zu fürchten und zu hassen?
Schließlich brach Christian das Schweigen. »Danke für alles,was du mit Hedwig unternommen hast, um uns zu warnen und Randolf den Tag zu verderben«, sagte er. Marthe hatte die Augen immer noch auf den Boden gerichtet. Seine Stimme klang warm, sie hörte ein Lächeln heraus.
Er wusste es also noch nicht.
Doch dann spürte sie, dass Christian schlagartig ernst wurde.
»Gibt es noch irgendetwas, was du weißt oder ahnst?«,
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