Das Geheimnis der Hebamme
dieser Alarmruf der Vorhut überraschend. Zwei Wochen waren sie schon auf der Rückreise nach Meißen unterwegs und hatten längst mit einem Angriff gerechnet.
Die Bewaffneten reagierten sofort. Christian, Raimund, Richard und Gero umringten Hedwig mit gezückten Waffen, bereit, sie vor Angreifern zu beschützen. Während die Frauen aus ihrem Gefolge kreischend davongestürzt waren und sich in den Wagen verkrochen hatten, blieb die Markgräfin scheinbar gelassen in hoheitsvoller Haltung auf ihrem Pferd.
Dass sich die Gegner nicht auf dem Schlachtfeld stellten, sondern ihnen wie Wegelagerer auflauerten, kündete von der Rücksichtslosigkeit, mit der dieser unerklärte Krieg geführt wurde.
»Ehrloses Gesindel«, stieß Raimund wütend hervor, während er einen Angreifer niederstreckte.
Eine Hand voll Berittener hatte sich durch die Reihen der Verteidiger gekämpft und hielt geradewegs auf sie zu. Christian sah sich mit einem Mal von zwei Reitern bedrängt und hatte zu tun, sie sich mit schnellen Hieben vom Leib zu halten. Eine Schwertspitze streifte seine Hand, doch plötzlich ertönte ein lautes Kommando, und die Angreifer zogen sich blitzartig zurück.
Zufrieden steckten Ottos Leute die Schwerter wieder in die Scheiden.
Christian vergewisserte sich mit einem kurzen Blick, dassHedwig unbehelligt war, und rief dann zu Raimund: »Warum sind sie so plötzlich weg?«
Doch sein Freund brachte nur ein Stöhnen heraus. Erschrocken sah Christian, dass Raimund aus einer klaffenden Wunde am linken Bein blutete.
Er sprang vom Pferd, riss seinen Ärmel ab und stoppte den Blutfluss so gut es ging mit dem Stoffstreifen.
»Ich hole den Feldscher.«
Bevor er ging, wandte er sich an Hedwig. »Seid Ihr wirklich unversehrt, Herrin?«
»Ja, dank Euch und Euren Freunden. Aber Ihr seid verletzt!« Hedwig griff nach Christians Hand, von der Blut tropfte.
»Nur ein Kratzer. Raimund hat es schlimmer erwischt. Wenn Ihr erlaubt, gehe ich den Wundarzt suchen.«
»Wartet noch einen Moment.« Vorsichtig band Hedwig ein seidenes Tuch um seine Hand, während Christian ungeduldig nach dem Feldscher Ausschau hielt. Dabei sah er, dass der Markgraf Randolf auf die Schulter klopfte, der mit seinem Gefolge an Ottos Seite gekämpft hatte, und etwas sagte, worüber beide Männer lauthals lachten. Dann traf Ottos suchender Blick auf Hedwig. Christian bemerkte, dass Randolf Otto etwas zuraunte, der für einen Moment erstarrte und dann wütend in ihre Richtung sah.
Er entzog Hedwig seine Hand, verneigte sich und ging auf die Suche nach dem Wundarzt.
Während er sich den Weg zwischen lärmenden Rittern und Knechten hindurchbahnte, sah er, dass der Wagen leer war, in dem Aloisius in Ketten mitgeführt wurde, damit Otto in Meißen über ihn Gericht halten konnte. Neben dem Wagen lag einer der Wachleute mit durchgeschnittener Kehle, der zweite war verschwunden – und mit ihm der Sterndeuter.
Nach zwei Tagen fing Raimund an zu fiebern, sein verletztes Bein war erschreckend angeschwollen. Wenn doch Marthe hier wäre, dachte Christian immer wieder.
»Das muss ab, sonst werdet Ihr sterben«, meinte der Feldscher nach einer kurzen Untersuchung, als sie sich für die Nacht ein Lager errichtet hatten.
Christian, der neben Raimund kniete, fuhr zusammen. Er kannte nicht viele Fälle, in denen jemand die Amputation eines Beines überlebt hatte. Und selbst wenn: Ein Mann konnte notfalls noch mit einem Arm kämpfen und den Knappen das Waffenhandwerk beibringen. Aber ohne linken Fuß kam er nicht mehr auf ein Pferd. Ihm blieb nur ein Leben als nutzloser Krüppel.
Lässig wischte der Feldscher über seinen blutverschmierten Kittel. »Ich werde saubere Arbeit leisten, Ihr werdet staunen, wie schnell das geht. Ich hole nur mein Werkzeug«, meinte er und zog los.
Raimund schauderte. Für einen Moment senkte sich Klarheit über seinen fieberglänzenden Blick.
»Lass das nicht zu! Ich flehe dich an um unserer Freundschaft willen«, sagte er zu Christian und drückte dessen Hand so heftig, dass der nur mit Mühe die Fassung wahren konnte.
Gero und Richard wollten auf ihn einreden, aber Raimund brachte die Brüder mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Und Elisabeth? Ich habe ihr versprochen, dass ich dich gesund wieder zurückbringe!«, erinnerte sich Christian beklommen.
»Sie soll nicht mit einem Krüppel leben müssen. Ich könnte sie nicht einmal mehr ernähren. Kümmere dich um sie. Das ist alles, worum ich dich noch bitte – und dass du mir diesen
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