Das Geheimnis der Heiligen Stadt
meiner Leute sich denken können, dass er in meinen Diensten steht.«
»Ich habe gedacht, er habe den Ring gestohlen«, murmelte Melisende. »Deshalb habe ich ihn zu dir gebracht. Celeste wollte ihn auf der Stelle töten, und ich musste mir schon etwas einfallen lassen, warum er verschont werden sollte. Du denkst zu kompliziert, Onkel!«
Der Patriarch lächelte und wandte seine Aufmerksamkeit Geoffrey zu. »Nun? Habt Ihr inzwischen die Morde aufgeklärt?«
Geoffrey verspürte einen Anflug von Unbehagen. Er war schon fast überzeugt gewesen, dass Melisende und ihre Leute die Mörder waren und Roger ihr Komplize. Aber nun war er verunsichert, denn anscheinend war sie die geliebte Verwandte des Patriarchen. Hatte Courrances etwa gewusst, dass der Mörder dem Patriarchen nahe stand? Eine solche Erkenntnis mochte dazu führen, dass der Vogt sich gegen den Patriarchen wandte und die Stadt in einen Bürgerkrieg stürzte. Geoffrey brauchte Zeit, um nachzudenken, und er hatte ganz gewiss nicht vor, seine Vermutungen mit Daimbert und seiner Nichte zu erörtern, ehe er nicht mit Tankred gesprochen hatte. Er versuchte, Zeit zu gewinnen.
»Die Hinweise verdichten sich«, sagte er vorsichtig. »Doch mir fehlen noch die Antworten auf gewisse Fragen.« Zum Beispiel darauf, was du vorhast, dachte er. Und ob du wusstest, dass deine Nichte möglicherweise eine Mörderin ist.
Daimbert lächelte väterlich. »Ihr macht also Fortschritte?«
Geoffrey umriss kurz, wie er herausfand, dass Dunstan Selbstmord begangen hatte. Er gab allerdings vor, Marius habe die Beweise verfälscht und nicht Alain. Marius war ohnehin tot, und Alain tat ihm Leid. Geoffrey erwähnte, dass Dunstan jemanden erpresst hatte, möglicherweise den Mörder. Er verschwieg, welche Rolle Roger in dieser Angelegenheit spielte, beschrieb allerdings, wie jemand ihn im brennenden Stall eingeschlossen hatte. Daimbert hörte aufmerksam zu und hielt seine dunklen Augen unverwandt auf Geoffreys Gesicht gerichtet. Melisende lauschte ebenfalls aufmerksam mit leicht gerunzelter Stirn. Als Geoffrey zum Ende kam, nickte der Patriarch langsam.
»Wie werdet Ihr nun fortfahren?«
Geoffrey überlegte, aber sein Geist wollte sich nur träge bewegen. »Ich werde in der Zitadelle unter den Freunden des Guido von Rimini und John von Sourdeval weitere Erkundigungen einziehen«, behauptete er schlieÃlich. Das hatte er bereits getan und nichts Brauchbares dabei erfahren. Aber da es vermutlich Melisendes Leute gewesen waren, die ihn nach seinem ersten Treffen mit Tankred verfolgt hatten, zögerte er, zu viel über seine künftigen Schritte zu verraten. In Wahrheit wollte er â nachdem er ein wenig geschlafen hatte â Dunstans Schritte während seiner letzten Tage nachvollziehen und feststellen, wem er den verhängnisvollen Erpresserbrief geschickt hatte.
Der Patriarch schürzte die Lippen. »Ihr wisst vermutlich am besten, wie Ihr vorzugehen habt«, sagte er vieldeutig. »Unglücklicherweise hat mich meine Nichte in eine unangenehme Lage gebracht. Ihr wisst nun Bescheid über meinen kleinen Ausflug in die Geschäftswelt, und Ihr könnt Euch sicher denken, dass es meine Schwarzmarktgeschäfte sind, die den Vogt zu ungünstigen Abkommen mit den venezianischen Kaufleuten zwingen. Da Ihr all das wisst, fühle ich mich jetzt ein wenig verwundbar.«
Nicht so verwundbar, wie ich mich fühle, dachte Geoffrey. Er begegnete den dunklen, undurchschaubaren Augen des Patriarchen mit gleichmütigem Blick. Der Patriarch fuhr fort.
»Ich sehe mich gezwungen, eine Entscheidung zu treffen. Entweder kann ich Euch gehen lassen, um Eure Untersuchungen für mich fortzusetzen. Oder ich kann Euch hier behalten und dafür sorgen, dass meine Geheimnisse gewahrt bleiben.« Nachdenklich klopfte er sich mit dem Zeigefinger gegen die Zähne.
»Es tut mir Leid, Onkel«, warf Melisende ein. »Ich habe nicht vorausgesehen, dass dich das vor solche Schwierigkeiten stellen würde. Ich dachte, du willst ihn vielleicht befragen, weil er deinen Ring gestohlen hat. Ich musste auch verhindern, dass Celeste oder Adam ihn auf der StraÃe erschlagen.«
»Also wirklich, Melisende«, sagte Daimbert ohne Groll. »Deine Treue spricht für dich, aber dein Verstand nicht. Und wenn er meinen Ring gestohlen hätte? Dann hättest du einen Dieb zu mir gebracht, der alles
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