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Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
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zen.«
    Er blieb dicht vor mir und zeigte mir bei jedem Schritt, wo ich hintreten sollte. Die Lampe hielt er erst vor sich und schwang sie dann nach hinten, damit ich etwas sehen konnte. Wir brauchten eine halbe Stunde, um die drei Stockwerke nach oben zu steigen.
    Die Feuerwehrleute hatten mit ihren Äxten die meisten Fenster zertrümmert, und was nicht von Menschenhand zerschlagen worden war, daran tobten sich nun der Wind und der Schnee aus. Im Dach klaffte ein großes, verkohltes Loch, wodurch ein Drittel des Museums ungeschützt war. Ich schaute nach oben und sah Sterne in einem weiten, teilnahmslosen Himmel. Der Fußboden – oder das, was noch davon übrig war – war mit Glassplittern und verschrumpelten menschlichen Überresten bedeckt. Ich tastete mit den Füßen die Dielen ab, ob sie auch stabil genug waren, um mein Gewicht zu tragen.
    Jakob blieb im Türrahmen stehen und schaute mir zu. »Ich glaube, ich habe alles mitgenommen, was man mitnehmen konnte, Dr. White.«
    An vielen Stellen hatten die Flammen die Farbe an den Wänden zerstört. »Nur gut, dass wir Ihre Skizzen an Howlett geschickt haben«, sagte ich und strich mit der Hand über die Wand, an der mehrere seiner Werke angebracht gewesen waren. »Wir haben nur ein paar verloren.«
    Er zuckte die Achseln.
    Meine Lieblingsskizze – die erste, die ich in Auftrag gegeben hatte, nachdem Jakob Hertzlich zu mir ins Museum gekommen war – hing wohlbehalten in meinem Schlafzimmer. Bei dem Gedanken daran lächelte ich, aber das Lächeln verging mir, als mein Blick auf meinen Schreibtisch fiel. Dieser Teil des Raumes war verhältnismäßig unbeschädigt geblieben. Die Decke war heil, ebenso die Dielen. Ich ging hinüber. Die Schreibunterlage war noch da. Sie war nur mit Asche bedeckt und eher grau als grün, aber die Flammen hatten sie nicht erreicht. Ich zog die zentrale Schublade auf. Ein Stapel Papier befand sich darin, überhaupt nicht angesengt. Meine Schreibwerkzeuge lagen da, als wäre nichts passiert. Ich schrieb meinen Namen auf ein sauberes Blatt. Vielleicht war es ja auch noch da – wenn Stifte und Papier überlebt hatten, konnte es gleichfalls überlebt haben. Ich räusperte mich. »Das Howlett-Herz – haben Sie es gefunden?«
    Statt zu antworten, schaute Jakob in die andere Richtung.
    »Mein Schreibzeug funktioniert noch!« Ich lachte und zeigte ihm meinen Namen auf dem Blatt. »Aber das Herz, Jakob – es ist doch sicher erhalten geblieben.«
    »Vieles ist kaputtgegangen«, sagte Jakob vage und wich meinem Blick aus.
    Am liebsten wäre ich zu ihm marschiert und hätte ihn gezwungen, mich anzuschauen, aber der Zustand des Fußbodens verbot eine solche Maßnahme.
    »Die Hitze war zu groß«, erklärte Jakob. »Viele Gläser sind geplatzt.« Er fuchtelte, als wolle er seine Worte untermalen, mit seiner bandagierten Hand herum.
    Er versuchte mir also zu sagen, dass es nicht mehr da war. Ich atmete tief durch. Noch einmal. Erst als wir wieder im Untergeschoss und in relativer Sicherheit waren, erzählte er mir weitere Details. Inzwischen war ich allerdings so durcheinander, dass ich die Information kaum aufnehmen konnte. Benommen und teilnahmslos hörte ich ihm zu, als würde er mir mitteilen, welches Wetter morgen zu erwarten war.
    »Ich nehme also an, dass jetzt Schluss ist.«
    Ich nickte, obwohl ich nicht so recht begriff, was er damit sagen wollte, aber ich spürte, dass etwas Wichtiges hinter dieser Aussage stand.
    »Ich habe getan, was ich konnte«, sagte er und schaute mich an.
    »Sie haben unglaublich viel getan, Jakob«, sagte ich. »Viel mehr, als Ihre Pflicht war.« Das stimmte. Er hatte sich nicht geschont, sondern bei den Rettungsversuchen seine Gesundheit und sein Leben aufs Spiel gesetzt.
    Und dann sprudelte es plötzlich aus ihm heraus. »Es ist vorbei, nicht wahr? Es bleibt nichts anderes übrig, als aufzugeben.«
    Dass ich schwieg, schien ihn durcheinanderzubringen. Dann wurde seine Miene plötzlich entschlossen. »Sie können sehr kalt sein, Dr. White.«
    Es mochte ja stimmen, dass ich kalt sein konnte – aber jetzt fror ich vor allem. Es war, als wäre der Winter unter meine Haut gekrochen und hätte sich dort festgesetzt. Das Museum in Trümmern, meine Arbeit vernichtet. In meinem Kopf drehte sich alles, und immer wieder tauchte ein bestimmter Gedanke auf. Die Ironie der ganzen Situation entging mir nicht. Ich war nach England gereist, mit dem festen Vorsatz, bei meiner Rückkehr Jakob Hertzlich zu entlassen und ihn aus

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