Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
Vom Netzwerk:
Lampe an, der Raum wurde hell, und alle seine Bücherregale wurden sichtbar.
    Es war vier Uhr morgens. Zu spät, um noch einmal einzuschlafen, aber auch zu früh, um aufzustehen und den Tag zu beginnen. Wackelig erhob ich mich und tappte zu dem Regal am Fuß meines Bettes. Dort befanden sich Bücher über Anatomie und Physiologie und Pathologie. Ein Brett war zur Hälfte mit Exemplaren unseres gemeinsamen Lehrbuchs gefüllt. Mein Blick blieb jedoch an einem Titel im Regal darüber hängen. Das Sexualleben unserer Zeit . Ich musste mich auf die Zehen stellen, um es zu erreichen. Ein dicker Band, in schwarzes Leinen gebunden und vor Kurzem erschienen. Aus dem Deutschen übersetzt. Der Autor war ein Berliner Dermatologe namens Iwan Bloch.
    Ich hatte schon öfter Handbücher über intime Beziehungen gelesen. Das in Kanada am weitesten verbreitete hieß Light on Dark Corners. Auf dem Umschlag war eine Laterne vor schattigem Hintergrund abgebildet. Trotz des Titels und der vieldeutigen Gestaltung gab das Buch nur wenig über Sex preis und konzentrierte sich mehr auf die angemessene Einstellung und das richtige Benehmen einer viktorianischen Frau, die sich in gemischter Gesellschaft befand.
    Das Sexualleben unserer Zeit war anders. Allein schon das Volumen und der wissenschaftliche Ansatz versprachen mehr Substanz. Ich nahm das Buch mit ins Bett und blätterte zu dem Kapitel über Jungfräulichkeit. Seit meiner Begegnung mit Jakob Hertzlich im April ließ mich eine ganz bestimmte Frage nicht mehr los. Jakob Hertzlich hatte mich angefasst, aber seine Hände waren auf meiner Brust geblieben. Doch diese Zurückhaltung hatte nicht verhindert, dass ich in seinen Armen einen Orgasmus gehabt hatte. Das war mir sofort klar gewesen.
    Es wunderte mich, dass das überhaupt möglich war, ohne genitalen Kontakt. Sein Unterkörper hatte sich in keuscher Entfernung von meinem befunden. Ich hatte nur die Hände auf meiner Brust gespürt, und trotzdem war es geschehen. Er musste es auch gemerkt haben, als ich mich an ihn lehnte.
    Zu seinem Lob muss man sagen, dass er es nicht ausnutzte, doch als ich gegen ihn sank, spürte ich etwas Steifes, Hartes, das von innen gegen seine Hose presste. Mich interessierten aber vor allem die Implikationen des Ganzen. Wir waren nicht im üblichen Sinn miteinander intim geworden. Trotzdem hatte ich mich ihm hingegeben. Zählte das? Galt ich immer noch, technisch gesehen, als Jungfrau? Zu diesem Thema hatte Bloch nichts zu sagen. Für den Fachmann aus Berlin war Sex gleichbedeutend mit Penetration. Nirgends wurde die Möglichkeit erwähnt, dass eine Frau allein schon durch die Stimulation der Brustwarzen Befriedigung finden könnte.
    Das Kapitel nach »Jungfräulichkeit« hieß »Autoerotismus«. Hier öffneten sich die Seiten sehr leicht. Howlett schien sie schon öfter konsultiert zu haben. Was ich da las, erleichterte mich sehr. Sich selbst zu berühren – etwas, was nach den Andeutungen meiner Großmutter angeblich zu Hirnschädigungen führen konnte – war eigentlich gar nicht gefährlich. »Bei einem gesunden Menschen«, schrieb Bloch, »hat gemäßigte Masturbation keinerlei negative Auswirkungen.« Bloch be schrieb, dass im Tierreich die Selbstbefriedigung weit verbreitet sei. Affen im Zoo masturbierten ungehemmt, » coram publico «. Pferde schüttelten ihr Glied hin und her, bis ein Samenerguss eintrat, und Stuten rieben sich »an jedem festen Gegenstand, der zur Verfügung steht«. Die Stuten trösteten mich ein bisschen. Bloch behauptete, dass auch bei Wild und bei Elefanten das Gleiche beobachtet worden sei. Wenn es so häufig prakti ziert wurde, konnte es wirklich nicht schlimm sein.
    Das dicke Buch lastete schwer auf meiner Brust, also stand ich auf und stellte es wieder zurück ins Regal. Höchstwahrscheinlich war ich noch Jungfrau. Ich gehörte wohl zu einer exklusiven Gruppe von Frauen, die sexuelle Erfahrung hatten und trotzdem jungfräulich waren. Plötzlich sah ich Miss Skerry vor mir, die allein in dem kleinen Zimmer lag, das von unserer Küche in der Priory abging. Vielleicht war sie in dieser Hinsicht eine Schwester. Meine Lider wurden schwer, und ich öffnete die oberen beiden Haken meiner Korsage. Es war eine einsame Sache, dieser Autoerotismus. Einsam und beglückend. Meine Finger umschlossen meinen Nippel, so wie Jakob Hertzlich es getan hatte, an dem Abend im Museum, vor sieben Monaten.

V
    DAS FEUER
    Manchmal kann ein sehr kleines Loch von einem
sehr lauten Geräusch begleitet

Weitere Kostenlose Bücher