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Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
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nickte. Sie war jetzt sechzehn. Großmutter hatte sie für einen Kurs in britischer Literatur eingeschrieben, bei einem Dozenten, der den Spitznamen Weihnachtsmann Atkins hatte, weil er so großzügig mit guten Noten war.
    »Deine Schwester ist eine Berühmtheit«, sagte Felicity, während sie schnaufend die letzten Stufen erklomm. »Sie steht in jeder Zeitung.«
    »Ich hab’s schon gehört«, sagte Laure. »Professor Atkins hat heute Morgen im Kurs darüber gesprochen. Er sagt, sie will zu hoch hinaus.«
    »Er plappert nur nach, was im Herald steht.« Felicitys Gesicht verdüsterte sich. »Und damit ist er nicht allein. Ein paar von seinen Kollegen haben aber immerhin den Mut, anderer Meinung zu sein. Verschiedene Mitglieder des Universitätsrats und auch einige Professoren finden, es ist höchste Zeit, dass die McGill Frauen zum Medizinstudium zulässt. An den europäischen Universitäten ist das schon seit Jahren üblich. In Wien und London gibt es Hunderte von Ärztinnen. Die Universität von Toronto lässt uns jetzt auch zu. Selbst die verstaubte alte Queen’s-Universität in Kingston! Das ist doch beschämend für die McGill.«
    Laure wollte noch mehr sagen, aber ich schnitt ihr das Wort ab. »Ich will hören, was da steht. Lies vor.«
    Felicity faltete die oberste Zeitung so, dass der Wind sie nicht fortriss. »Die Gazette ist am besten. Sie prophezeit, dass du es schaffst. Da wird lang und breit Mr Hugh McLennan zitiert, der hier in der Stadt ein schrecklich einflussreicher Mann ist. Er wird deinetwegen regelrecht lyrisch. Die Überschrift stammt von ihm. ›Die McGill muss den Ruf der Moderne hören.‹«
    Ich hob die Hand gegen die Sonne. »Und der Herald? «
    »Nicht so gut, aber ich muss gestehen, ich habe den Artikel nur überflogen. Der Herald- Reporter hat verschiedene Ärzte in Montreal interviewt – so ein sturer Haufen, das ist echt enttäuschend.«
    »Lies, Felicity. Ich muss es hören, und sei es nur, damit ich meinen nächsten taktischen Schritt planen kann.«
    Sie lächelte. »Du wärst bestimmt eine gute Feldherrin geworden, Agnes. Es ist ein Jammer, dass du vermutlich nicht die Chance dazu hast.«
    »Das würde mir nicht entsprechen, glaube ich«, sagte ich. »Ich möchte Wunden lieber verarzten, als welche zu verursachen. Also, leg los.«
    Felicity seufzte. »Es beginnt mit einem gehässigen Porträt«, fasste sie, die Zeilen überfliegend, zusammen. »Deine Fortnightly -Artikel seien schrill. Ich zitiere: ›Verwunderlich bei einem Mädchen, das im kleinen St. Andrews East geboren und aufgewachsen ist und dessen Urgroßvater die dortige presbyterianische Kirche gründete.‹«
    Ich wurde rot. Der Mann vom Herald hatte recherchiert. Was meinen Geburtsort anging, irrte er sich, aber es stimmte, dass der Großvater meiner Mutter, Joseph White, zu den frühen Siedlern gehört hatte. Mit einer Handvoll anderer schottischer Familien hatte er, als er 1818 mit dem Schiff aus Glasgow kam, St. Andrews East gegründet und nach dem Schutzheiligen Schottlands benannt. Ein Jahr darauf legte er eigenhändig den Grundstein für die erste presbyterianische Kirche der Provinz Lower Canada. Diese Geschichte war in und um St. Andrews East wohlbekannt, und deshalb war es sicher nicht schwer gewesen, sie herauszufinden. Aber was wäre passiert, wenn der Herald zufällig auf die Sache mit meinem Vater gestoßen wäre? Ich hatte schon öfter über dieses Risiko nachgedacht und war ausnahmsweise einmal dankbar für den Tarnmantel des Namens White.
    »›Miss Agnes White‹«, las Felicity weiter, »›versucht, die Zulassung zum Studium der Medizin an der McGill-Universität zu erlangen. An dieser Universität studieren junge Frauen seit dem Jahr 1884, als Donald Smith (Lord Strathcona) die Hochschule mit Stiftungsmitteln für ein separates allgemeinbildendes Frauenstudium bedachte. Jetzt, nur wenige Jahre nach dieser Konzession, gelüstet es Miss White bereits nach Höherem.‹«
    »Das ist der Satz, den Professor Atkins nachgeplappert hat. Es klingt, als wäre ich Luzifer.«
    »Es kommt noch mehr«, sagte Felicity. »Sie haben offenbar eine Umfrage unter prominenten Ärzten in Montreal gemacht. Dr. F. Wayland Campbell, Dekan der medizinischen Fakultät am Bishop’s College, meint, die Öffnung des Ärztestandes für Frauen wäre ein Fiasko. Zitat: ›Man stelle sich vor, dass ein Patient in kritischem Zustand eine halbe Stunde warten muss, bis eine medizinisch tätige Dame ihre Haube aufgesetzt oder ihre

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