Das Geheimnis der Herzen
überhaupt jemand zuhörte. Miss Symmers lächelte die ganze Zeit tapfer und kam dann auf mich zu, um mich zu umarmen, aber da taumelte ich schon davon, in Richtung Ausgang. Ich floh blindlings, und mein hämmerndes Herz übertönte alles andere.
Das Erste, was ich nach dem Fiasko einigermaßen klar sah, war Miss Skerrys Gesicht. Sie war mir mit meiner Brille hinaus ins Freie gefolgt. Als Nächste kam Laure und umarmte mich, womit ich nicht gerechnet hatte.
Ich war unter eine Weide am anderen Ende des Sportplatzes geflohen. Dorthin hatte ich mich während des Schuljahrs oft zurückgezogen und gelesen. Kaum eins der Mädchen kam je so weit an den Rand des Schulgeländes. Die Zweige der Weide hingen bis ins Gras und boten so einen natürlichen Blickschutz.
»Deine Schulleiterinnen machen sich bestimmt Sorgen«, sagte Miss Skerry. »Wir sollten zurückgehen und ihnen sagen, dass alles in Ordnung ist.«
Ich schüttelte den Kopf. Mein verletzter Stolz tat so weh! Deshalb blieben wir unter der Weide stehen, während die anderen nach und nach aus dem Gebäude kamen. Miss Skerry redete sanft auf mich ein, sagte, dass alles gut sei, lobte die Rede, obwohl ich mich zu Tode schämte, weil ich sie so verhunzt hatte. Schließlich schickte Miss Skerry Laure los. Sie sollte Miss Symmers und Miss Smith sagen, wo wir waren, und mein Stipendium in Empfang nehmen.
»Wie soll ich ihnen gegenübertreten?«, fragte ich, als wir allein waren.
Miss Skerry zuckte die Achseln. »Du hast nichts Unrechtes getan, Agnes. Ich finde, du solltest zu den anderen gehen. Genieße deine Abschlussfeier und freue dich, weil du zu Größerem und Besserem aufbrechen wirst.«
Ich schüttelte den Kopf. So zuversichtlich wie meine Ex-Gouvernante konnte ich nicht sein. Großmutter ließ keinen Zweifel daran, wie meine Zukunft aussehen würde: Ich musste ins triste, kleine St. Andrews East zurückkehren.
Wir blieben noch eine ganze Weile lang hinter den Zweigen stehen. In der Mitte des Sportplatzes war ein Baldachin aufgestellt worden, unter dem ein Tisch mit Tee und Gebäck stand. Ein paar Mädchen aus der Klasse unter mir bedienten die Gäste.
Ich sah Großmutter mit den beiden Schulleiterinnen über den Rasen kommen. Laure lief zu ihnen und sagte ihnen, wo ich war. Sie drehten sich zu mir um, dann kamen die Schulleiterinnen mit Laure über den Sportplatz auf mich zu. Großmutter war wohl nicht so leicht bereit, mir meinen peinlichen Abgang zu verzeihen. Sie ging zu dem Tisch und begann eine Unterhaltung mit Mrs Banks Geoffreys. Ich fuhr mir durch die Haare und zog dabei einen Zopf auf.
»Deine Frisur!«, rief Laure, die gerade mit Miss Symmers und Miss Smith den Baum erreicht hatte. Sie hob eine heruntergefallene Zopfschleife auf und wollte mir den Zopf wieder binden, aber ich schüttelte den Kopf. »Ach, Agnes«, seufzte sie. »Ich will dir doch nur helfen.«
Ich zog das andere Zopfband und die Haarnadeln heraus, sodass mir genau in dem Moment, als die Schulleiterinnen unter den Zweigen hindurch in unser Versteck traten, die Haare offen über die Schultern fielen.
»Ich kann es wieder in Ordnung bringen«, sagte Laure, mehr zu den Schulleiterinnen als zu mir. »Im Frisieren bin ich wirklich gut.« Und vor ihren Augen begann sie, meine Haare zu flechten, und lächelte dabei so lieb, als stünde es wirklich in ihrer Macht, alle Peinlichkeiten aus der Welt zu schaffen.
»Sie war schon immer so«, fügte meine Schwester erklärend hinzu, während sie an mir herumzupfte. »Normale Sachen haben sie noch nie interessiert.«
Miss Skerry schaltete sich ein. »Agnes ist kein ›normales‹ Mädchen, Laure. Das ist schon lange klar. Und es ist, ehrlich gesagt, das, was ich an ihr am meisten schätze.«
Miss Smith lachte. Und Miss Symmers, Gott segne sie, griff in ihre Tasche und zog das Stipendiumsgeld für die McGill heraus. »Sagen wir es so: Du bist kein gewöhnliches Mädchen, Agnes. Außergewöhnlich trifft es am besten.«
Sobald Laure mit meinen Haaren fertig war, traten wir hinaus in die Sonne. Der Sportplatz war vor Kurzem gemäht worden, und die Häufchen von frisch geschnittenem Gras verströmten einen belebenden Duft. Vor uns standen Mädchen in Gruppen beisammen, lachten und schwatzten. Ein paar schauten her und winkten mir. Ich winkte zurück und hob dann meine Zöpfe an, um den Wind an meinen Nacken zu lassen. Plötzlich ging es mir viel besser.
Janie Banks Geoffreys und zwei andere Mädchen kamen zu uns. Sie hatten Laure mit ihren
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