Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
Vom Netzwerk:
vorbei an eben diesem Porträt.
    Eine Klingel ertönte, und die Sekretärin, die in einem Vorzimmer saß, ging ins Büro des Dekans, um zu sehen, was er wollte. Ich nahm meine Brille ab und putzte sie energisch, aber eher, um mich zu beruhigen, als weil es unbedingt nötig gewesen wäre. Sekunden später kam die Sekretärin wieder heraus. »Sie lassen bitten«, sagte sie.
    Ich überlegte, wer »sie« sein könnten, fragte aber nicht, weil die Sekretärin schon wieder auf dem Weg nach drinnen war und mich hinter sich herwinkte. Das Vorzimmer war voller Kisten und Kästen und Bücherstapel, und mein nasser Ärmel streifte eine Vase auf dem Rand des Schreibtischs. Die Vase wackelte einen Moment lang unentschlossen, knallte dann auf den Fußboden und spuckte Tulpen und eine Menge Wasser aus.
    Jemand beugte sich aus der Tür des Dekans, aber ich konnte ihn nicht genau erkennen, weil ich meine Brille nicht aufhatte. Inzwischen kauerte ich auf allen vieren, und das Erste, was ich sah, als ich die Brille wieder aufsetzte, war ein Paar Gamaschen.
    »Miss White?«
    Der Mann aus der Straßenbahn blickte mit amüsierter Miene auf mich herab. Hinter ihm beäugten mich drei weitere Männer. Irgendwie konnte ich die ganze Szene betrachten, als wäre ich einer von ihnen und nicht ein am Boden kauerndes Mädchen, das mit dem Inhalt einer Blumenvase kämpfte. Ich wusste, dass ich ein lächerliches Bild bot, wie ich die tropfnassen Stängel zusammenraffte.
    »Ach, lassen Sie nur«, sagte der Mann mit den Gamaschen. »Sie sind zwar hier, um ein Gesuch zu stellen, aber deswegen brauchen Sie noch lange nicht niederzuknien.« Die anderen lachten höflich, und als er sich herunterbeugte, um mir aufzuhelfen, sah ich, dass auch seine Augen lachten. Jetzt wusste ich sicher, dass er der Student von damals war, auch wenn er weniger Haare hatte als früher und die verbleibenden stellenweise schon grau wurden. Er war oft bei uns zu Hause gewesen. Er war einer von Vaters Protegés.
    Endlich rettete mich Dekan Laidlaw, indem er mich in sein Büro winkte und mich mit den anderen Herren bekanntmachte. Er tat das sogar relativ respektvoll, wenn man an meinen peinlichen Auftritt von zuvor dachte. Die anderen waren Mitglieder des Zulassungskomitees der Fakultät. Die Luft im Büro war voller Rauch, aber ich erkannte sofort den spindeldürren Dr. Hingston, dem ich schon öfter begegnet war, erst im Pensionat der Misses Symmers und Smith und später dann bei Felicity zu Hause. Er nickte nur knapp und ohne zu lächeln. Ein kleiner Mann, der eher wie ein Boxer denn wie ein Arzt aussah, stellte sich als Dr. Mastro vor. Er lehrte Physiologie und war bei Weitem der jüngste der anwesenden Herren. Die letzte Hand, die ich schüttelte, gehörte dem Mann aus der Straßenbahn.
    »William Howlett«, sagte er lächelnd.
    Mir klappte vermutlich die Kinnlade herunter, denn er lachte und drückte kurz meinen Arm. Er war derjenige, von dem der Schneider und seine Frau gesprochen hatten. Der Mann, dem jetzt das Haus meines Vaters gehörte.
    »Wir waren uns nicht sicher«, sagte Dr. Howlett, »ob Sie bei diesem unfreundlichen Wetter überhaupt kommen würden.«
    Ich funkelte ihn an. Nichts, erklärte ich so ruhig ich irgend konnte, hätte mich davon abhalten können, heute hier an der McGill zu erscheinen. Ich wollte schon die Straßenbahn erwähnen, überlegte es mir dann aber anders. Der Dekan beobachtete mich genau. Mit seinen Koteletten und den Knopfaugen hatte er etwas von einem Fuchs, was mich sehr irritierte. Auf seine Aufforderung hin setzte ich mich auf den einzigen verbleibenden Stuhl, der mitten im Raum stand, den vier Männern zugewandt.
    Howletts und meine Blicke kreuzten sich immer wieder, nicht zuletzt deshalb, weil er mich dauernd anstarrte. Das machte mich noch nervöser, als ich sowieso schon war. Wenn er nun darauf kam, dass er mich von früher kannte, und die Verbindung zu meinem Vater herstellte? So wie ich ihn heute erlebt hatte, war er nicht unbedingt jemand, der seine Impulse zügelte. Womöglich platzte er hier vor den Fakultätsmitgliedern damit heraus.
    »Zunächst«, sagte der Dekan, »will ich Sie loben.«
    Ich setzte mich gerade hin. Keine Zeit mehr, über Howlett nachzudenken oder über die Tulpen und mein tollpatschiges Entree. Ich schob alles beiseite, lächelte und versuchte mich auf das zu konzentrieren, was der Dekan mir zu sagen hatte. Auf dem Schreibtisch lagen die Morgenzeitungen. Er ergriff sie jetzt und fragte mich, ob ich sie

Weitere Kostenlose Bücher