Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
Vom Netzwerk:
Pfeife und schaute dem Rauch dann so konzentriert nach, dass er mich ganz zu vergessen schien.
    Ich begann zu sprechen. Es fiel mir jetzt leichter, weil er mich nicht mehr anschaute. Ich öffnete den Mund, und meine ganze Geschichte sprudelte aus mir heraus. Diese Geschichte, die sich während der schwierigen Jahre als junge Frau in mir aufgestaut und nur darauf gewartet hatte, dass ich den Korken zog. Ich erzählte ihm, wie sehr mich die McGill enttäuscht hatte. Dass die Erfahrung damals der absolute Tiefpunkt meines Lebens gewesen war. Ich ging nicht ins Detail, sprach nicht von meinem Zusammenbruch und dass ich viele Monate im Bett verbracht hatte. Ich schämte mich deswegen, und außerdem wollte ich nicht verbittert oder giftig wirken. Die Sache mit der McGill war ihm überhaupt nicht peinlich, er nahm den Bericht über meine Qualen ganz neutral auf. Manchmal schien er gar nicht richtig zuzuhören, wodurch ich unbefangener weiterreden konnte. Ich berichtete, dass ich dann auf die Medical School des Bishop’s College gegangen sei, dank der Initiative einer treuen Freundin, die Beziehungen zu dieser Universität hatte. Die Freundin war, versteht sich, meine Gouvernante, aber das erwähnte ich nicht. Ich erzählte, dass ich als Assistenzärztin im Montreal General Hospital gearbeitet hatte, ich erzählte von meinen Reisen nach Zürich und Wien, wo ich an einigen der besten Universitäten der Welt im Labor gearbeitet hatte. Ich spickte meinen Bericht mit den Namen prominenter Mediziner. Immerhin hatte ich bei den Pathologen Kolisko und Albrecht studiert und bei Ortner innere Medizin.
    Howletts Augen wurden groß vor Hochachtung. Ja, dachte ich stumm, ich habe diese Männer kennengelernt und mit ihnen Präparate seziert, und das alles ohne seine Hilfe und ohne die Unterstützung der McGill.
    Ich erzählte ihm von meiner Rückkehr nach Kanada. Dieser Teil kam etwas unzusammenhängend heraus. Ich hatte zwar aufgehört zu weinen, aber ich musste mir immer wieder die Nase putzen, und mein Mund war von den Gefühlswallungen und vom vielen Reden ganz ausgetrocknet. Trotzdem hörte ich nicht auf zu reden. Ich hatte das noch nie getan, ich hatte meine Lebensgeschichte bisher nie in Worte gefasst, als wäre sie etwas, was sich anzuhören lohnte.
    Howlett schaute die meiste Zeit weg, während ich sprach, betrachtete die Wände und die Decke, blickte auf seinen Schreibtisch. Als ich schließlich endete, drehte er sich zu mir. »Lobenswert.«
    Lobenswert . Nur ein Wort, aber mir bedeutete es unendlich viel. Dadurch wurde endgültig ausgelöscht, dass er bei dem McGill-Fiasko als Komplize der Universität fungiert hatte. Und dass er in all den Jahren nicht versucht hatte, mit mir Kontakt aufzunehmen, obwohl er wusste, dass ich die Tochter seines Mentors war. Lobenswert . Jetzt war alles wieder gut.
    Er paffte an seiner Pfeife und zündete ein Streichholz an, wodurch eine frische Rauchwolke aufstieg. »Und nun?«, fragte er, eingehüllt in einen nebligen Heiligenschein. »Was haben Sie jetzt mit Ihrem Leben vor?«
    Es erschien mir ganz natürlich, dass der Blick seiner dunklen Augen auf mir ruhte. Ich konnte es kaum glauben, wie nahe wir uns innerhalb von zwanzig Minuten gekommen waren. Ich hatte das Gefühl, als würde er mich schon immer kennen. Was konnte ich sagen, um uns noch näher zusammenzubringen? Er wollte bestimmt nichts über meine Arztpraxis hören, da war ich mir sicher. Ich war ja auch nicht gerade ein Paradebeispiel für Erfolg. Das Museum eignete sich besser, auch wenn ich mich dort bisher vor allem als Putzfrau betätigt hatte.
    Howlett zog weiter an seiner Pfeife. Er schien sich nicht zu langweilen, aber sein Blick galt nicht mehr mir, sondern wanderte vom Bücherregal zum Oberlicht und dann zu den Beinen meines Stuhls. Ich sprach über Dr. Clarke und dass er sich mir gegenüber sehr großzügig gezeigt hatte. Ich berichtete von dem Durcheinander im Museum, als ich dort zu arbeiten anfing, und wie zeitaufwendig und mühsam es war, Ordnung herzustellen. Ich sprach von den Präparaten: Gläser, die aufgereiht dort standen und die alle darauf warteten, dass ich mich ihnen widmete. Viele Leute fanden es merkwürdig, dass eine junge Frau freiwillig ihre Zeit in einem Raum mit lauter sterblichen Überresten verbrachte. Sie konnten das nicht verstehen. Was sie nicht wussten, flüsterte ich mit so leiser Stimme, dass Howlett sich vorbeugen musste, um mich zu verstehen – was sie nicht wussten, war, dass ich schon als

Weitere Kostenlose Bücher