Das Geheimnis der Herzen
Kind mit solchen Dingen gespielt hatte.
Howlett legte seine Pfeife auf einen kleinen weißen Teller, der auf seinem Schreibtisch stand, und lächelte. »In Honorés Arbeitszimmer«, sagte er.
»Ja.« Ich sah den Raum vor mir.
Howlett nickte sehr ernst, aber gleich darauf lächelte er erneut. »Sie waren schon immer anders als die anderen, nicht wahr, Agnès? Ihnen hat es dort gefallen. Deshalb ist das alles nur logisch – es ist, als würde die Vorsehung Sie leiten. Sie können sich glücklich preisen.«
Das staubige alte Museum an der McGill hatte plötzlich eine große Würde erhalten. Howlett holte eine wissenschaftliche Zeitschrift von einem der Regale. »Hier drin steht ein Artikel, den Sie dringend lesen müssen. Über das pathologische Museum in London«, sagte er. »Ich habe praktisch dort gelebt, als ich mich während des Studiums vorübergehend in London aufhielt. Es ist herrlich – ein Schrein des Todes und zugleich ein Schrein des Lebens. Die Mysterien der Natur wurden dort enthüllt.« Er fixierte mich mit seinen lachenden Augen. »In Amerika gibt es so etwas noch nicht, Agnès. Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir Abhilfe schaffen, Sie und ich?«
Ich nickte, und irgendwie konnte ich es gar nicht richtig glauben, dass ich tatsächlich mit dem großen Mann sprach. Er interessierte sich für meine Arbeit, so sehr, dass er sogar eine Art Partnerschaft vorschlug. Wir waren nun derart vertraut, dass ich beschloss, ihm das Herz zu zeigen. Der passende Moment war gekommen. Doch genau da klingelte eine Glocke und kündigte das Essen an.
Wir zuckten beide zusammen. Howlett legte seine Pfeife wieder auf den weißen Teller und erhob sich. »Wir müssen gehen. Kitty erwartet uns im Speisezimmer, und sie möchte immer, dass ich pünktlich bin. Aber wir werden diese Diskussion weiterführen, das verspreche ich Ihnen.«
Ich war so glücklich, dass ich kaum atmen konnte. Schnell nahm ich meine Tasche und stand ebenfalls auf. Vor vielen Jahren hatte dieser Mann mich abgewiesen, hatte mich nicht zu der Institution zugelassen, die ich unbedingt besuchen wollte, und nun war ich bei ihm in seinem Arbeitszimmer und erzählte ihm meine Lebensgeschichte, als hätte er die ganze Zeit darauf gewartet. Als hätte ich es verdient, dass man sich mir widmete.
Auf dem Weg zur Tür spürte ich leicht seine Hand auf meiner Taille. Natürlich, er wollte mich auf den Korridor hinausmanövrieren, daher war die Geste eigentlich nicht ungebührlich, aber ich war trotzdem schockiert. Die Geräusche wurden lauter. Der Pfeifenrauch roch jetzt extrem stark. Das Blumenmuster der Tapete sprang mir fast grell entgegen. Und mittendrin spürte ich eine Sache überdeutlich – die glühende Stelle unter seiner Hand, da, wo mein Beckenknochen hervorragte.
Ich wiederholte in Gedanken immer wieder den Namen seiner Frau, wie ein Gebet. Howlett war verheiratet. Gleich würde ich mich an einen Tisch setzen, um eine Mahlzeit zu mir zu nehmen, die seine Ehefrau zubereitet hatte. Sie erwartete mich in ihrem Speisezimmer und überlegte sich vielleicht gerade, wie ich wohl aussah. So wie ich mir meinerseits sie vorstellte. Die Hand ruhte noch immer auf meiner Taille. Ich spürte den Druck, spürte die Wärme und schloss die Augen.
Der Mahagoni-Tisch glänzte. Ein fünfarmiger Leuchter funkelte in der Mitte. Das Silberbesteck schimmerte. Oben am Tisch stand Kitty Revere Howlett und blickte uns entgegen, als wir eintraten.
Sie war genauso atemberaubend schön wie der Tisch, den sie für uns gedeckt hatte. Feines goldenes Haar. Ihr Kleid war elegant, aus hellem Samt, der ihren perfekten Teint betonte. Neben ihr fühlte ich mich buckelig und plump. Ich war mir plötzlich meiner eigenen Haare bewusst, die struppiger waren als sonst, weil ich mich im Hotel ja nur mit einer Hand hatte frisieren können. Und mein lächerliches Kleid hätte ich am liebsten irgendwo versteckt. Der Verband hatte inzwischen die Farbe von schmutziger Asche angenommen. Ich war also schlecht frisiert, nicht fein genug gekleidet und auch sonst völlig unzulänglich. Wie war ich nur auf den Gedanken gekommen, Howlett könnte sich zu mir hingezogen fühlen? Ich hatte es nur geträumt, das war alles. In einem kurzen Moment der Schwäche hatte ich vergessen, dass sich eine Frau in meiner Position solch einen Luxus gar nicht erlauben konnte.
Während Howlett den Braten aufschnitt, führte Kitty mich zu meinem Platz. Ihr Blick fiel auf meine Tasche, und sie bot mir an, der Diener
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