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Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
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könne sie doch in den Flur bringen, aber ich erklärte, dass ich mich nicht von ihr trennen wolle, und stellte sie neben meine Füße, an ein Tischbein gelehnt.
    Der kleine Junge speiste mit uns, was ich merkwürdig fand. Er war höchstens fünf, also viel zu jung, um dem Ge spräch der Erwachsenen zu folgen. Außerdem reichte er kaum mit der Nase auf den Tisch. Seine Eltern nannten ihn Revere, nach dem Mädchennamen seiner Mutter.
    Ich lächelte ihm zu, aber er war zu schüchtern, um meinen Blick zu erwidern. Wahrscheinlich hatte ich ihn bei unserem Schusswechsel in der Halle eingeschüchtert. Kitty hingegen verhielt sich alles andere als zurückhaltend. Sie stellte alle möglichen Fragen, besonders über meinen Unfall im Krankenhaus. »Wie schade, dass Sie sich ausgerechnet im Urlaub verletzt haben!«, rief sie.
    »Ich bin beruflich unterwegs«, entgegnete ich reflexartig. »Offiziell halte ich mich im Auftrag der McGill hier auf.«
    »Oh, ja, selbstverständlich«, sagte Kitty, ein wenig betroffen, weil ich sie zurechtgewiesen hatte. »Willie hat es schon erwähnt. Sie sind Arzt in Montreal.«
    Mit offenem Mund starrte mich der kleine Junge an. »Arzt – so wie Vater?« Die Wörter kamen aus seinem Mund, ehe er es verhindern konnte, und er wurde rot vor Verlegenheit.
    »Ja, wie dein Vater«, sagte Howlett, der immer noch an der Anrichte stand und sich dem Fleisch widmete.
    »Aber das kann doch gar nicht sein!«, protestierte der Junge.
    Vielleicht wusste er nicht, dass auch Frauen Ärzte sein konnten. Oder er vermochte sich nicht vorzustellen, dass ich so schlau war. Wir sollten allerdings seine Gründe für diese Bemerkung nicht erfahren, weil sich Kitty einmischte und ihren Sohn ermahnte, er möge sich bitte benehmen.
    »Ja, ich bin Ärztin«, erklärte ich, vordergründig an die Mutter gerichtet, aber auch an den Jungen gewandt, der ja jetzt zum Schweigen verurteilt war. »Aber ich leite auch ein Museum. Das ist momentan mein Hauptberuf. Ihr Mann kennt unsere Sammlung.«
    »Ein Museum! Wie wunderbar«, schwärmte Kitty. »Und was für Objekte sind dort ausgestellt?«
    Ich warf einen fragenden Blick zu Howlett, aber er war immer noch an der Anrichte beschäftigt und drehte mir den Rücken zu. Ich war mir selbst überlassen. Kitty wollte bestimmt nichts von kranken Organen hören, während wir an diesem so fein gedeckten Tisch saßen. Rivers hatte mich zudem vorgewarnt und gesagt, ich solle heute Abend keine medizinischen Themen ansprechen, aber Kitty schaute mich so erwartungsvoll an, dass ich gezwungen war, irgendetwas zu antworten.
    »Dinge, die für die Studenten nützlich sind«, sagte ich ausweichend und machte mit meiner guten Hand eine hilflose Bewegung. »Wir sind der medizinischen Fakultät angegliedert.«
    Zu meiner Erleichterung ließ Kitty das Thema Museum fallen. Sie gehörte vermutlich zu den Frauen, die eine Liste von Dingen im Kopf hatten, über die man bei Tisch sprechen konnte, und wehe, wenn ein Gast von dieser Liste abwich.
    »Willie war auch an der McGill, wie Sie sicher wissen. Er war ganz begeistert von dieser Universität.«
    In dem Moment unterbrach Howlett das Gespräch und stellte die Platte mit dampfendem Huhn auf den Tisch. Man konnte selbst bei der einfachen Betätigung des Fleischschneidens sehen, wie systematisch sein Gehirn arbeitete. Dünne Brustscheiben befanden sich auf der einen Hälfte der Platte, die Schlegel und das dunkle Fleisch auf der anderen, während die Füllung säuberlich in der Mitte aufgeschichtet war. »Es kann losgehen, meine Damen – und mein Herr«, sagte er und verbeugte sich theatralisch. »Ein wunderschön gebratener Vogel, den wir unserer exzellenten Gastgeberin zu verdanken haben, Kitty Revere Howlett.«
    Kitty wurde rot und sprach dann das Tischgebet. Wegen meiner Hand konnte ich die Platten und Schüsseln nicht so gut weiterreichen wie die anderen. Ich musste jede Schüssel mit meiner guten Hand nehmen, sie vor mir auf den Tisch stellen, mit derselben Hand den Servierlöffel oder die Gabel ergreifen, mich bedienen, den Löffel zurücklegen und dann die Schüssel zu Howlett weiterschieben, der rechts neben mir saß. Der kleine Junge verfolgte den Ablauf sehr aufmerksam und zuckte immer zusammen, wenn ich meine verbundene Hand hob.
    Nachdem sich alle bedient hatten, wurde es still im Raum. Howlett und sein Sohn waren Kitty gegenüber fast schüchtern, als wäre das Speisezimmer für sie fremdes Territorium. Howlett schien immer auf Stichwörter von

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