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Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
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könnte, also erklärte ich es ihnen. Es war eine Transposition, eine Vertauschung der Blutgefäße, was bei etwa jedem zehnten Neugeborenen mit Herzfehler der Fall war. Die Aorta und die Lungenarterie waren vertauscht und kamen aus der falschen Herzkammer. Neugeborene mit diesem Problem waren von Kopf bis Fuß blau, obwohl ihr Herz ganz normal klang.
    Die Studenten waren noch dabei, dies in ihre Notizhefte zu schreiben, als Dr. Clarke hereinkam. Sofort erhoben sie sich und wirkten dynamischer als den ganzen Vormittag.
    »Guten Tag, meine Herren«, sagte der Dekan. Lächelnd neigte er den Kopf vor mir. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie bei der Arbeit störe, Dr. White.«
    Arbeit war kaum das richtige Wort für das, was ich hier machte, aber ich schwieg, vor allem, als ich merkte, dass er nicht allein war. Hinter ihm stand ein dunkelhaariger junger Mann.
    Ich spürte sofort, dass mit diesem Mann irgendetwas nicht stimmte, aber zuerst wusste ich nicht, was. Er wirkte viel zu jung, um zum Lehrkörper zu gehören. Wirre Locken, die nicht besonders frisch gewaschen aussahen, hingen ihm bis auf die Schultern. Seine Kleidung war mehrere Nummern zu groß, wodurch er an einen Straßenjungen erinnerte. Der Anzug selbst schien ganz annehmbar – zumindest früher einmal, aber jetzt war er so zerknittert, als würde er ihn nie ausziehen. Der Hemdkragen war schmutzig und ausgefranst. Am meisten irritierte mich allerdings das Gesicht des Mannes. Es war vollkommen ausdruckslos, zeigte keinerlei Emotionen. Seine Augen waren jedoch sehr aktiv. Sie wanderten von den am Tisch stehenden Studenten zu den Regalen mit den Glastüren, in denen die etikettierten Gläser standen. Aber meinem Blick begegneten sie nicht.
    »Ich möchte Ihnen Jakob Hertzlich vorstellen«, verkündete der Dekan.
    Ich reichte dem jungen Mann die Hand. Seine war trocken und kühl, obwohl es so heiß war. Die Spitze des Mittelfingers war gelblich verfärbt, und sein Jackett roch nach kaltem Zigarettenrauch.
    »Jakob gehört von jetzt an zu unserer Fakultät«, fuhr der Dekan fort.
    Ich musterte den Mann etwas gründlicher. Er war gar nicht so jung, wie ich zuerst gedacht hatte. Vermutlich Mitte zwanzig. Zu alt, um noch Student zu sein. Aber ein Professor war er mit Sicherheit auch nicht. Dass er in seinen Kleidern geschlafen hatte, daran gab es für mich keinen Zweifel. Ein miefiger Geruch ging von ihm aus.
    »Sie bekommen endlich Unterstützung, Dr. White. Jakob ist Ihr neuer Assistent.«
    Fassungslos starrte ich erst den Dekan an, dann den jungen Mann, der immer noch meinem Blick auswich. Er griff in seine Tasche und holte eine ovale Dose heraus, die er kurz schüttelte. Dann steckte er sich etwas in den Mund. Was für ein merkwürdiger Mensch! Während sich seine Finger mit der Dose beschäftigten, wanderten seine Augen dauernd hin und her.
    »Gut«, sagte ich, um das Schweigen zu brechen. Die Situation barg eine gewisse Ironie, das musste ich zugeben. Seit Monaten lag ich Clarke in den Ohren, weil ich unbedingt einen Assistenten brauchte, aber so einen seltsamen, mür rischen Knaben hatte ich mir natürlich nicht vorgestellt. Außerdem musste ich daran denken, wie ich selbst hier angeworben wurde und wie Clarke Dr. Mastro davon in Kenntnis gesetzt hatte. Anscheinend bereitete es dem Dekan Freude, Menschen zusammenzuspannen, die eindeutig nicht zuei nanderpassten.
    »Er hat erstklassige Referenzen«, erklärte Clarke. »Und eine medizinische Ausbildung.«
    Von den drei Studenten am Tisch kam ein unterdrücktes Schnauben. Vor lauter Schreck hatte ich sie ganz vergessen. Falconbridge tat so, als würde er sich die Nase putzen, was aber wenig überzeugend wirkte.
    »Gut«, sagte der Dekan und wiederholte damit das einzige Wort, das ich bisher hervorgebracht hatte. Es konnte so viel bedeuten, dass es letzten Endes gar nichts aussagte. Im Grund war es nur ein Ton, der in meinem Fall dazu gedient hatte, die eigentlichen Empfindungen zu kaschieren. Ich lächelte bitter. Manchmal wurden Wünsche auf absurde Art erfüllt.
    Clarke räusperte sich. »Ich will Sie jetzt nicht länger von Ihrer Arbeit abhalten, Agnes. Mr Hertzlich muss in meinem Büro verschiedene Papiere unterschreiben.«
    Als die beiden weg waren, ließ ich mich auf meinen Stuhl sinken. Dr. Clarke neigte dazu, die Dinge auf seine spezielle Art zu regeln. So vermied er die Streitigkeiten, die unter Akademikern sehr verbreitet waren, aber gleichzeitig brachte er die Leute gegen sich auf. Ich dachte

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