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Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
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mehrere Monate in einer Irrenanstalt als Assistenzärztin arbeitete: Wenn ein Patient gewalttätig wird, soll man sich nicht bewegen. Setze nur die Stimme ein, bleibe ruhig, versuche die Person zu besänftigen . Das Messer war gar kein Messer, sondern ein silberner Brieföffner. Laures Arm zitterte. Sie war erschöpft, kurz vor dem Zusammenbruch. An ihrem Unterarm sah ich Spuren von Schnittverletzungen, die teilweise verheilt schienen. Selbstverstümmelung. Der Brieföffner war eine Gefahr für sie selbst, nicht für andere.
    Ich begann zu reden und wendete dabei die Strategien an, die ich in der Schweiz gelernt hatte. Die Sätze kamen fast automatisch, was logisch war, denn die Person, auf die ich diese Methode anwandte, war Laure, meine kleine Schwester, die ich besser kannte als mich selbst. Ich nahm ihr den Brieföffner ab und schloss sie in meine Arme. Das ging verblüffend leicht, denn letzten Endes sehnt sich jeder Mensch, auch wenn er noch so verängstigt und aggressiv ist, nach Zuspruch und Trost.
    Was Laure dann sagte, war völlig zusammenhanglos, aber die Geschichten, die sie erzählte, wiesen auf eine tiefe Paranoia hin. Huntley habe den ganzen Haushalt gegen sie aufgehetzt, um sie in den Wahnsinn zu treiben. Immer wieder seien Leute in ihr Schlafzimmer eingedrungen und hätten die Möbel beschädigt. Der Schaden war jedes Mal gerade so schlimm gewesen, dass nur sie ihn bemerken konnte. Überall waren kleine Kerben im Holz, winzige Kratzer und Risse, die über Nacht plötzlich auftauchten. Sie schloss die Tür ab, aber Huntley besaß natürlich einen Schlüssel und agitierte immer weiter gegen sie. Das passierte alles, während sie schlief. Sie versuchte, ihn zu überlisten. Deshalb hatte sie die Möbel mit Laken verhängt. »Er will, dass ich vollkommen den Verstand verliere«, flüsterte sie und befreite sich abrupt aus meiner Umarmung. »Und dann schickt er mich fort, weil er mich los sein will.«
    »Du musst das, was er sagt, nicht so ernst nehmen. Huntley ist verzweifelt, und er merkt gar nicht, was für einen Unsinn er redet.«
    »Er weiß genau, was er tut.« Sie schwieg einen Moment lang und schaute mich an. »Wir sind voller Mängel, nicht wahr, Agnes? Wir passen nicht dazu.«
    Ich antwortete nicht. Anders als meine Schwester war es in meinen Augen kein lohnendes Ziel, »dazuzupassen«. Im Gegenteil.
    »Ich habe geglaubt, dass ich es schaffen kann, als Huntley sich um mich bemüht hat«, sagte Laure. »Aber das war ein Irrtum. Wir sind schmutzig. Wir machen andere schmutzig.«
    »Unsinn.« Ich legte ihr die Hand auf den Arm, um sie zu beruhigen. »Du hast ein medizinisches Problem, Laure. Ein Problem, das deine Fruchtbarkeit beeinträchtigt. Es ist nicht deine Schuld.«
    Sie begann zu weinen. »Er sagt immer, dass er mich wegschickt.«
    Ich nahm sie wieder in die Arme und wiegte sie wie ein Kind. Über ihre Schulter hinweg fiel mein Blick auf den Raum: der Brieföffner auf der Matratze, die zugehängten, verwundeten Möbel. Huntley hatte recht. Laures Zustand hatte nicht nur mit ihrer Trauer zu tun. Sie wies alle Anzeichen einer Psychose auf. Und deswegen lehnte er sie ab. Er tat immer so, als wäre er der Fels in der Brandung, doch er ergriff die Flucht.
    »Alles wird gut«, sagte ich leise. Die wiegende Bewegung war für mich genauso tröstlich wie für sie. »Alles wird gut, Laure. Ich bin bei dir.«
    Ich hatte keine Ahnung, wie ich es organisieren sollte, aber mir war sonnenklar, dass Laure nicht mehr mit Huntley unter einem Dach leben konnte. Also zog ich ihr ein Kleid und einen Schal an und frisierte ihre Haare einigermaßen. Dabei war mir die ganze Zeit bewusst, war für eine Ironie des Schick sals es war, dass ich mich um das Äußere meiner Schwester kümmerte. Laure saß völlig teilnahmslos da, ließ mich mit ihren Kämmen und Haarnadeln hantieren, als würde ihr Aussehen sie überhaupt nicht mehr interessieren.
    In der Vorhalle kam Huntley zu uns, während ich Laures Stiefel suchte. Peter hatte ihm mitgeteilt, dass Laure aus dem Zimmer gekommen sei. »Du hast es geschafft, sie rauszuholen?«
    Ich kniete vor dem Garderobenschrank und wühlte darin herum. Ich merkte, wie Laure neben mir zusammenzuckte und vor ihm davonlaufen wollte. »Ja«, sagte ich und ergriff ein Paar Damengaloschen. »Du kannst sie direkt ansprechen, Huntley. Sie spricht Englisch.«
    Huntley starrte auf die Gummiüberschuhe. »Was hast du mit diesen Dingern vor?«
    Ich reichte Laure die Galoschen, und sie begann,

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