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Das Geheimnis der Herzen

Das Geheimnis der Herzen

Titel: Das Geheimnis der Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Holden Rothman
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wieder an Mastro. Unser Verhältnis hatte sich in letzter Zeit verbessert, worüber ich mich sehr wunderte. Nach Großmutters Tod war er in meine Praxis gekommen, um mir sein Beileid auszusprechen. Was ich allerdings noch erstaunlicher fand, war, dass er seinen Studenten gegenüber meine Arbeit immer wieder lobte. Offensichtlich hatte sich der Leistungsdurchschnitt in seinem Physiologiekurs in diesem Jahr verbessert, was er hauptsächlich auf meine Tutorenstunden zurückführte. Er hatte deshalb mit dem Dekan gesprochen und bestand jetzt darauf, dass das Tutorium im kommenden Jahr offiziell in den Lehr plan aufgenommen wurde. Seinem Einsatz hatte ich es zu verdanken, dass ich in den Rang einer Dozentin aufgestie gen war.
    Ich kam also mit Dr. Mastro besser zurecht, was verblüffend war, aber ich bezweifelte, ob es auch für den jungen Mann mit dem schlecht sitzenden Anzug Hoffnung gab.
    »Er ist Jude, Miss«, flüsterte Hornby.
    »Sei doch nicht so engstirnig, Horn«, wies Falconbridge ihn zurecht, der plötzlich aufgewacht war. »Aber was Sie wirklich wissen sollten, Miss – er ist ein Spinner.«
    Die anderen beiden fingen an zu lachen.
    »Sie kennen ihn?«
    »Persönlich begegnet bin ich ihm noch nie«, antwortete Falconbridge, »aber ich habe schon genug über ihn gehört. Er ist eine Legende.«
    Jakob Hertzlich war anscheinend vor einiger Zeit das große Ausnahmetalent in seinem Studentenjahrgang gewesen und hatte sämtliche Auszeichnungen bekommen, die es gab. Aber dann war er plötzlich verschwunden, ohne jede Vorwarnung. Es ging das Gerücht, er sei in eine Anstalt eingewiesen worden, das Studium habe ihn wahnsinnig gemacht. Am Ende der Geschichte brachen die drei in lautes Gelächter aus.
    »Tut mir leid, dass ich Ihnen so schlechte Nachrichten überbringen muss«, sagte Falconbridge voller Schadenfreude und nahm seine Bücher.
    Ich zuckte die Achseln. Es fiel mir schwer, mir nicht anmerken zu lassen, wie ungeduldig mich diese Studenten machten. Keiner von ihnen würde das Abschlussexamen schaffen. Und eine Auszeichnung würden sie sowieso nie bekommen.
    »Viel Glück mit dem Spinner!«, rief Falconbridge noch, bevor er zur Tür hinausging. Man hörte sein Gelächter durch den Flur hallen.
    Viel Glück! Nun, in letzter Zeit hatte ich wirklich wenig Glück gehabt. Ich stand auf und trat ans Fenster. Die Luft roch frisch und verheißungsvoll. Ich konnte es nicht fassen, was Dr. Clarke getan hatte. Was hatte er sich dabei gedacht, als er beschloss, den jungen Hertzlich bei mir abzuliefern? Ich hatte ihm von Laure erzählt. Bei jedem anderen als bei Clarke hätte ich sadistische Motive vermutet. Aber der Dekan hatte ein mitfühlendes Gemüt. Bestimmt lag da die Erklärung. Jakob Hertzlich war ein Außenseiter, ein Jude, und den meisten anderen von der Intelligenz her weit überlegen. Genau die Art Individuum, die Clarke aussuchte. Ich selbst hatte ja auch von seinem Mitgefühl profitiert. Warum also nicht dieser seltsame Junge?
    Weil ich davon betroffen war! Weil ich im Moment schon mit genug Irrsinn zu kämpfen hatte! Bei der Arbeit hatte mir das gerade noch gefehlt. Das Museum war doch meine Zuflucht! Mit dem übrigen Leben kam ich zwar auch zurecht, aber nur mit Mühe und Not. Eigentlich hatte ich gedacht, Samuel Clarke wäre klug genug, um meine Situation zu erfassen.
    Ich hatte Laure in die Priory gebracht, wo sie sich gut aufgehoben fühlte und wo sich Huntley nicht einmischte. Dazu hatte er allerdings auch gar keine Lust, vermutete ich. Er schien froh zu sein, dass Laure ihn nicht mehr belastete. Miss Skerry hatte eine hervorragende Stelle in der Stadt aufgegeben, um nach St. Andrews East zu kommen und für meine Schwester zu sorgen. Aber Laure war extrem anstrengend. An manchen Tagen war sie ganz sie selbst, an anderen wie ein fremder Mensch. Erst letzte Woche hatte sie einen Kessel mit kochendem Wasser nach Miss Skerry geworfen. Die musste ein paar Bauernknechte aus der Nachbarschaft rufen, damit sie ihr halfen, Laure zu bändigen.
    Und jetzt erwartete Dr. Clarke von mir, diesen Jungen mit dem ausdruckslosen Gesicht und dem unmöglichen Benehmen in mein Leben zu integrieren. Was sollte ich tun?
    Ein leises Geräusch ließ mich aufschrecken. Ich drehte mich blitzschnell um und sah den jungen Mann, an den ich gerade gedacht hatte, direkt vor mir stehen, keinen Meter entfernt.
    »Was tun Sie hier?«
    Er antwortete nicht, sondern senkte nur stumm den Kopf, während er in seinen Händen die mysteriöse ovale

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