Das Geheimnis der Highlands
Neugierig näherte sie sich der schweren Tür, stieß sie nach innen auf und schloß sie unmittelbar hinter sich, damit kein Falke entfliehen konnte. Sie wollte dem Hawk keinen Vorwand liefern, sie zu bestrafen.
Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Dunkel, und sie war in der Lage, in dem spärlichen Licht einige leere Sitzstangen auszumachen. Ah, nicht der Brutkäfig, dies mußte der Trainingsturm sein. Adrienne versuchte, sich daran zu erinnern, wie die Ausbilder dereinst ihre Vögel für die Jagd abgerichtet hatten.
Der Turm roch nach Lavendel und Gewürzen, der schwere Moschusduft des angeschlossenen Treibhauses drang durchdie steinernen Mauern. Es war ein friedvoller Ort. Oh, wie leicht könnte sie sich daran gewöhnen, nie wieder die Hektik des rauschenden Verkehrs zu hören; sich nie wieder ängstlich umdrehen zu müssen; New Orleans nie wiederzusehen – all dem Weglaufen, Verstecken und der Angst ein Ende zu setzen.
Die Mauern des Turms waren kühl und fühlten sich sauber an, kein Vergleich zu den steinernen Mauern, die sie einst in dem schmierigen Dreck einer Gefängniszelle in New Orleans gefangengehalten hatten.
Adrienne schüttelte sich. Sie würde jene Nacht niemals vergessen können.
Ausgangspunkt des Streites war – man stelle sich das einmal vor – eine Reise nach Acapulco. Adrienne wollte nicht. Eberhard hatte darauf bestanden. »Schön, dann begleite mich«, hatte sie gesagt. Er habe zuviel zu tun, könne sich nicht freimachen, hatte er geantwortet.
»Was hast du nur von deinem ganzen Geld, wenn du dir nicht die Zeit nehmen kannst, dein Leben zu genießen?« hatte Adrienne gefragt.
Eberhard hatte nicht geantwortet, hatte sie nur mit einem enttäuschten Blick fixiert, der ihr das Gefühl gab, ein unsicherer Teeny zu sein, eine linkische und ungeliebte Waise.
»Also, warum schickst du mich immer wieder allein in die Ferien?« hatte Adrienne gefragt und versucht, erwachsen und cool zu wirken, doch ihre Frage endete in einem kläglichen Tonfall.
»Wie oft muß ich dir das noch erklären? Ich versuche, dich zu erziehen, Adrienne. Wenn du auch nur einen Augenblick lang der Meinung bist, daß es für eine Waise, die sich niemals in der Gesellschaft bewegt hat, ein leichtes wäre, meine Frau zu werden, denk noch mal scharf nach. Meine Frau muß kultiviert sein, welterfahren, europäisch …«»Schick mich nicht wieder nach Paris«, hatte Adrienne hastig gesagt. »Das letzte Mal hat es wochenlang geregnet.«
»Unterbrich mich nicht immer, Adrienne.« Seine Stimme war ruhig gewesen; zu ruhig und voller Kalkül.
»Kannst du nicht mit mir kommen – nur dieses eine Mal?«
»Adrienne!«
Adrienne hatte sich verkrampft, hatte sich töricht und im Unrecht gefühlt, obwohl sie wußte, daß sie keinen Unsinn redete. Manchmal hatte sie das Gefühl gehabt, daß er sie nicht um sich haben wollte, aber das ergab keinen Sinn – er war im Begriff, sie zu heiraten. Er war dabei, sie darauf vorzubereiten, seine Frau zu werden.
Aber dennoch, sie hatte ihre Zweifel.
Nach ihrer letzten Reise nach Rio hatte sie bei ihrer Rückkehr von ihren alten Freunden aus dem »Blind Lemon« erfahren müssen, daß Eberhard nicht allzu häufig in seinen Geschäftsräumen gesehen worden war – dafür sehr wohl in seinem auffälligen Porsche mit einer nicht minder auffälligen Brünetten. Ein schmerzendes Gefühl der Eifersucht hatte sie durchbohrt. »Übrigens, ich höre, daß du dich nicht überarbeitest, während ich weg bin«, hatte sie fallenlassen.
Von da an war es ernst geworden, bis es schließlich zur Eskalation kam. Eberhard tat etwas, was Adrienne dermaßen befremdete und in Schrecken versetzte, daß sie blindlings in den Dunst des nächtlichen New Orleans flüchtete.
Er schlug sie. Brutal. Und, indem er ihre verblüffte Passivität ausnutzte, mehr als einmal.
Weinend schwang sie sich in den Mercedes, den Eberhard für sie geleast hatte. Sie trat das Gaspedal durch, und der Wagen jagte davon. Sie fuhr wie blind, mit Autopilot, und maskaragefärbte Tränen befleckten das cremefarbene Seidenkostüm, das Eberhard für jenen Abend ausgesucht hatte.
Als die Polizei sie anhielt und ihr vorwarf, mit über 100 Meilen pro Stunde gefahren zu sein, wußte sie, daß sie logen. Es waren Eberhards Freunde. Er hatte sie wahrscheinlich in dem Moment verständigt, als sie sein Haus verließ; er wußte, welche Strecke sie immer nach Hause nahm.
Adrienne stand mit den Polizisten neben ihrem Auto, das Gesicht grün
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