Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
sie eine Kiepe. »Wir bekommen Besuch«, verkündete er Jeels.
Dieser trat zum Fenster. »Es ist Wemke!«, rief er erstaunt.
Krischans Augenbrauen fuhren in die Höhe. »Die Frau von dem Badearzt. Hab heute Morgen gehört, dass der ziemlich krank sein soll. Wurde beim Bäcker erzählt. Soll schlecht um ihn stehen.«
Jeels’ Herz schlug einen schnelleren Rhythmus, als er Wemke näher kommen sah. Was mochte geschehen sein? Seit Wochen schon hatten sie einander nicht mehr gesehen. Wemke schien ihn zu meiden.
»Komm, wir gehen ihr entgegen.« Krischan hatte die Türklinke schon in der Hand. Als sie vors Haus traten, fing Wemke an zu rennen. Sie schien innerlich so aufgewühlt, dass sie Jeels kaum wahrnahm. Er hörte ihr zu und fühlte eine große Dankbarkeit in sich aufsteigen. Sie war in ihrer Not zu ihm gekommen!
Wemke war es, als ob sie eine große Last abgelegt hätte. Mit erleichtertem Gesicht saß sie in dem gemütlichsten Sessel in der Küche und verdrängte für einen Augenblick alle Sorgen. Liebevoll betrachtete sie die Schwester, die ganz in sich versunken auf dem Boden spielte.
War das Kind am Anfang ihrer Begegnung mit den beiden
Männern noch befangen und zurückhaltend gewesen, so schafften es Krischan und Jeels schnell, das kleine Mädchen für sich zu gewinnen. Schon beim Teetrinken, als alle um den Küchentisch versammelt saßen, lachte Freya und griff nach Krischans kleiner Flöte, die er aus einer Holztruhe hervorgezaubert hatte.
»Mit Kindern umzugehen, das braucht man nicht lernen«, meinte der Bärtige stolz. Er spielte eine fröhliche Melodie, und die Kleine wiegte sich dazu. Sie griff nach dem Instrument und war für eine Weile beschäftigt.
Benno hatte ihr am Anfang einen Schrecken eingejagt. Nachdem Wemke sie vor der Kate auf den Boden gestellt und Krischan die Kiepe gereicht hatte, war der Hund wie aus dem Nichts aufgetaucht. Bei seinem Anblick ließ die kleine Person sich erst einmal überrascht ins Dünengras plumpsen. Der Rüde trat zu ihr und stupste sie mit der Nase an. Sein Atem musste Freya wohl am Ohr gekitzelt haben, denn sie fing an zu kichern.
»Muh, Muh«, machte sie, obwohl Benno nun weiß Gott keine Kuh war, und zog sich an seinem Fell hoch, was das geduldige Tier sich ohne Widerstreben gefallen ließ. Sehr zum Erstaunen der anderen. Überhaupt schien es nichts zu geben, was Freya bei ihm nicht durfte.
»Fehlt nur noch, dass er sich reiten lässt«, meinte Jeels lächelnd.
Gleich nach der Begrüßung hatte Wemke von dem schrecklichen Verdacht Konrads erzählt. Es war die richtige Entscheidung gewesen, sich Jeels anzuvertrauen. Er strahlte eine Art ruhiger Besonnenheit aus und Wemke fühlte sich beschützt und geborgen in seiner Nähe. Es gab keine Spannungen zwischen ihnen, wie sie befürchtet hatte. Ernst hatte Jeels sich ihre Sorgen angehört und darauf bestanden, dass Wemke und Freya seine Gastfreundschaft in Anspruch nähmen.
Krischan hatte ohne viel Federlesens Tassen auf den Tisch gestellt und begonnen, Wasser zu kochen. Tee war hier auf Wangerooge das Allheilmittel gegen jegliche Form von Angst und Sorgen.
Jeels nahm sich kaum die Zeit, eine Tasse zu trinken. »Ich werde mich gleich auf den Weg machen. Mit den schwarzen Pocken habe ich mich während des Studiums intensiv auseinandergesetzt. In der Praxis allerdings ist mir die Krankheit noch nicht untergekommen.«
»Aber das kann ich nicht von dir verlangen.« Wemkes Stimme zitterte. »Du könntest dich anstecken!«
»Was wäre ich für ein Arzt, wenn ich diese Herausforderung nicht annehmen würde?« Jeels lächelte ihr beruhigend zu. »Im Übrigen glaube ich, dass sich alles als harmlos herausstellen wird. Die Pocken ziehen stets eine Spur nach sich. Und ich habe in letzter Zeit weder auf der Insel noch auf dem Festland von einem einzigen Fall gehört.«
Wemke schloss die Augen. Was war es für eine Erleichterung, die Sorgen mit jemandem teilen zu können. Noch dazu mit einem Jemand, der so verständnisvoll und tatkräftig reagierte und ihr damit eine gewaltige Last von den Schultern nahm.
»Du und die Kleine, ihr bleibt erst einmal hier«, fuhr Jeels fort. »Krischan und ich werden es uns nebenan im Schuppen bequem machen. Während ich fort bin, könnt ihr euch schon mal einrichten, und du, Krischan, kannst uns ein Lager bereiten.«
»Aber ich kann doch nicht von euch Männern verlangen …«
»Ich bestehe darauf. Und nun will ich keine Zeit mehr verlieren.« Jeels sprang auf und griff nach
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