Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
nicht gut. Und das Fieber steigt noch.«
Wemke schob sacht den Vorhang zur Seite und schaute in das glühende Gesicht ihrer kleinen Schwester, die in diesem Moment die Augen öffnete.
»Arm«, sagte sie leise und streckte sich Wemke entgegen.
Die hob das kleine Bündel auf und drückte es fest an die Brust. Alle Sorgen wurden klein gegen die um das Kind.
»Bleib hier, bis es ihr wieder bessergeht«, bat Jeels, und Wemke nickte nur.
Am liebsten würde ich mein ganzes Leben lang hierbleiben, dachte sie. Dann wandte sie verlegen den Blick ab. Sie hatte Angst, dass die Gefühle ihr ins Gesicht geschrieben standen.
25
Z wei Tage lang war Jeels fast Tag und Nacht unterwegs gewesen. Die Windpocken hatten rasend schnell um sich gegriffen und keinen Unterschied gemacht zwischen arm und reich, Gästen und Insulanern.
Erkrankt waren hauptsächlich Kinder, aber es hatte auch einige Erwachsene getroffen. So wie die Hofrätin. Sie war eine ungeduldige Patientin und brachte sowohl ihren Mann als auch das Personal fast um den Verstand. Frau Bartling hatte darauf gedrängt, dass Jeels sich Tag und Nacht ihrer und der anderen Kranken in der Badeanstalt annahm, doch er ließ sich nicht zwingen. Für ihn waren die erkrankten Wangerooger nicht weniger wichtig als die verbliebenen Gäste der Frau Geheimen.
Tedamöh hatte angeboten, Jeels zu assistieren, und er war ihr dankbar für die Hilfe. Da so viele Kinder erkrankt waren, wurde der Unterricht vorerst eingestellt, was Onno gerade recht kam. Er verbrachte die meiste Zeit bei Krischan und ging ihm zur Hand, während Wemke die kranke Schwester versorgte.
Auf einen vielversprechenden Morgen, der einen kalten, ruhigen Novembertag verheißen hatte, folgte ein stürmischer Nachmittag. Am Vormittag war der Himmel noch klar und die See glatt gewesen, und es hatte ein schwacher Wind geweht. Wer hätte ahnen können, dass es sich nur um ein friedliches Zwischenspiel handelte.
Mittlerweile war keine einzige Möwe mehr zu sehen, obwohl sie doch sonst scharenweise den Himmel bevölkerten und der Tisch für sie jetzt reichlich gedeckt war. Immer wieder griffen starke Böen nach Tedamöh und Jeels, die sich völlig erschöpft auf dem Heimweg befanden. Der Regen fiel in Sturzbächen vom Himmel, der mit dunklen Wolken verhangen war, und der Schaum auf den Wellenkämmen spritzte hoch in die Luft.
Als die beiden schließlich erleichtert Jeels’ Kate erreichten, riss ihnen der Wind fast die Tür aus der Hand.
»Mein Gott, bin ich froh, zu Hause zu sein.« Jeels warf die tropfnasse dicke Überjacke von sich und griff dankbar nach dem Handtuch, das Wemke ihm reichte.
Benno kam und stupste Jeels freundschaftlich gegen das Bein. Nachdem er die erhoffte Streicheleinheit erhalten hatte, trottete der Hund wieder zurück zu seinem Lager und verbarg den Kopf zwischen den Pfoten.
»Na, habt ihr alle Pockigen versorgen können?«, neugierig blickte Onno von Jeels zu Tedamöh. Er hatte schon als kleiner Junge die Windpocken gehabt und fühlte sich dadurch den Kranken haushoch überlegen.
»Ich denke, wir bekommen die Sache langsam in den Griff«, nickte Jeels. »Ohne deine Großmutter allerdings hätte ich es kaum schaffen können.«
Tedamöh machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wer helfen kann, dem ist es eine Pflicht.«
Krischan fasste die Alte unter und begleitete sie zu einem Stuhl in der Nähe des Feuers, auf den sie sich ächzend fallen ließ. Sie beugte sich vor und rieb ihre Hände gegeneinander. »Himmel noch eins, bin ich durchgefroren! Tückisches Wetter! Streut uns am Morgen Zucker aufs Brot, um uns am Abend die Peitsche doppelt spüren zu lassen. Dieses Nasskalte ist nichts für meine alten Knochen. Krischan, wie sieht’s aus mit
etwas Heißem? Kannst mir auch ruhig eine ordentliche Portion Branntwein reintun.«
»Ach, ich wusste noch gar nicht, dass Branntwein gut für die Knochen ist«, sagte Onno mit scheinheiligem Gesicht.
»Bengel, lass dein altkluges Geschwätz sein, sonst setzt es gleich was«, drohte Tedamöh. »Jeels und ich waren den ganzen Tag auf den Beinen, da ist ein Schuss Branntwein genau das Richtige. Sag mal, warst du dem Krischan wenigstens eine Hilfe heute?«
»Jau«, bestätigte der Hüne. Er machte sich daran, Wasser zu wärmen, und holte den Branntwein aus dem Schrank. »Onno hat sich um Hund und Hof gekümmert, während ich Wemke hier im Haus zur Hand gegangen bin.«
Sein Gesicht wurde ernst, und er warf Wemke einen fragenden Blick zu. Diese schüttelte
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