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Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Grog schlürfte. »Ich habe mich heute so manches Mal gefragt, woher du eigentlich so viele Dinge weißt. Und erzähle mir nicht, dass man auf einer Hebammenschule lernt, dass Rübenöl bei Erkältungen hilft und Wurzelsamen in Bier gegen steife Knochen. Es gab heute kein Krankheitsbild, das du nicht auf Anhieb erkannt hast und keinen Patienten, gegen dessen Erkrankung dir nicht ein Mittelchen eingefallen wäre. Während meiner Praxisjahre habe ich einige Hebammen kennengelernt, aber du bist bei weitem die Klügste von allen. Du weißt Dinge, von denen selbst ich noch niemals gehört habe.«
    »Brauchst mir keinen Honig ums Maul schmieren, Jeels. Ich komme so oder so morgen wieder mit und helfe dir«, erwiderte Tedamöh ruppig.
    Über Jeels’ erschöpftes Gesicht zog ein Schmunzeln. »Ich bin wirklich neugierig. Komm, spann uns nicht auf die Folter. Woher weiß ein Inselkind Dinge, die man sonst nur in klugen Lehrbüchern findet?«
    Tedamöh spitzte den Mund und sagte schließlich: »Das meiste lernt man beim Tun. Und ich habe, was Krankheiten und Geburten angeht, weiß Gott eine ganze Menge gesehen. Bin ja schließlich schon ein bisschen länger auf der Welt.« Dann verfiel sie wieder in Schweigen.
    »Oma«, sagte Onno ungeduldig. Wie ein kleiner Kobold hockte der Junge auf einem großen Holzstuhl. Er hatte seine Schuhe abgestreift und die Füße nah an den Körper gezogen. »Warum erzählst du den anderen nicht von meinem Urgroßvater?«
    Tedamöh kniff die Lippen zusammen und schaute ihn strafend an. Ihrer Miene konnte man entnehmen, dass sie sich lieber wieder dem Grog gewidmet hätte. Doch als die anderen
sie weiterhin fragend betrachteten, fing sie seufzend an zu erzählen.
    »Also gut. Du fragst dich, Jeels, warum eine alte Frau Ahnung von Dingen hat, die eigentlich nur Gelehrte wissen können. Schuld daran war mein Vater. Als ich ein Kind war, fuhr er jeden Sommer wie all die anderen Männer zur See. Dann waren meine Mutter und ich für Monate alleine auf Wangerooge. Wir hielten das Haus in Ordnung, bauten Gemüse an, versorgten das Vieh und taten all die Dinge, die getan werden mussten. Ich glaubte damals, dass es kein anderes Leben gäbe. Für mich gehörte der Sommer meiner Mutter und der Winter meinem Vater, der dann wieder mit großem Gepolter in unser Leben trat.
    Meine Mutter war anders als die anderen Frauen. Nicht verdreht im Kopf oder dusselig, falls ihr das denken solltet. Sie war nur viel stiller als die meisten, sprach kaum mal, und wenn doch, dann über Dinge, die niemand hören wollte oder verstand. Die Weiber gingen ihr aus dem Weg. Da hatte sie was gemeinsam mit deiner Mutter, Jeels. Mit dem Unterschied allerdings, dass die Insulaner keine Angst vor ihr hatten. Sie hielten Mutter einfach nur für verrückt. Der Seebär und seine verrückte Kirsten - damit waren meine Eltern gemeint.« Tedamöh nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Krug und schien für einen Moment in Gedanken versunken. Dann fuhr sie fort: »Ich wusste es besser. Meine Mutter war nicht verrückt. Sie sprach viel mit sich selbst, zumindest glaubten das die anderen. Dabei waren es Tiere oder Pflanzen, die Sonne oder der Mond, mit denen sie ein Schwätzchen hielt. Mutter glaubte, dass alles und jedes eine Seele hätte. An den Sommerabenden bekam ich Geschichten zu hören, die ihr angeblich die Schwalben aus dem Süden mitgebracht oder die Tiere im Stall ausgeplaudert hatten. Sogar Tische und Stühle konnten in ihrer Vorstellung reden, und natürlich das Meer. Es erzählte ihr vom Getier im Wasser und von den Meerweibern.« Sie bedachte Jeels mit einem
Lächeln. »Vielleicht habe ich deshalb niemals Angst vor den van Voss gehabt. Zum einen glaubte ich nicht an die Gerüchte, die über sie umgingen. Zum anderen kannte ich ja die Meerwesen schon lange aus vielen Geschichten.
    Mutter wollte immer nur lauschen, aber mir genügte das bald nicht mehr. Ich war ein wildes Kind und wollte selbst was erleben. Mit dem, was den anderen Mädchen Freude machte, wusste ich allerdings wenig anzufangen. Mir lag weder Sticken noch Strümpfe stricken, nicht Backen noch Kochen. Lieber kletterte ich mit den Jungen auf das höchste Dach der Insel, sprang über breite Priele und kehrte mit Körben voller Möweneier und Krabben wieder heim.
    Meine Mutter ließ mich gewähren. Nie fiel ein hartes Wort, was immer ich auch tat. Manchmal enttäuschte mich das. Ich suchte ihren Widerspruch, wurde immer waghalsiger. Doch sie hielt mich nicht zurück. Abends

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