Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
Teufels fass ich mit der Heugabel nicht mehr an.« Wiltert war derart in seine Fantasien versunken, dass er den immer starrer werdenden Blick des Arztes nicht einmal bemerkte. Erst als ein heftiger Schlag ins Gesicht seinen Kopf ruckartig zur Seite fliegen ließ, erwachte Wiltert aus seiner Entrücktheit und schrie vor Schmerzen auf. Fassungslos sah er in das wutverzerrte Gesicht des Arztes.
»Ich lasse meine Frau nicht länger beleidigen. Behalt deine schmutzigen Lügen für dich.« Schwer atmend taumelte Dr. Hoffmann zur Tür.
»Na was denn?« Wiltert hielt sich die gerötete Wange. »Eine Hand wäscht die andere. Du hilfst mir, und ich helfe dir. Du Pfuscher solltest lieber froh sein, dass ich dir die Augen geöffnet habe. Unser Liebespaar wartet doch nur noch darauf, dass du den letzten Seufzer tust. Jetzt bist du gewarnt und kannst ihnen einen Strich durch die Rechnung machen. Das wird mir eine kleine Genugtuung sein.«
»Macht auf, es ist alles getan«, schrie der Arzt laut und verschwand ohne ein Wort.
Um Wiltert herum wurde es still. Eine kleine Weile blieb er reglos auf seinem Stuhl sitzen. Wie hatte es nur geschehen können, dass er in diesem elenden Loch hockte und nicht heraus konnte? Er lachte bitter auf. Dabei besaß er einen Schlüssel für diese Turmkammer. Wenn er ihn nur eingesteckt hätte! Jetzt lag er nutzlos in seinem Zimmer in der Gaststube.
Wiltert seufzte. Alles war schiefgelaufen, sein hochfliegender Plan geplatzt. Ein angenehmes Leben hatte er hier führen wollen, doch diese Möglichkeit gab es nicht mehr. Dabei hing er mit jeder Faser seines Herzens an Wangerooge. Deshalb hatte er all die Jahre auf den Tod des Stiefvaters gewartet und ganz bewusst den großen Augenblick hinausgeschoben. Und natürlich, um diesem in die Schuhe zu schieben, was ein anderer getan hatte.
Wieder und wieder war er zum Turm geschlichen, hatte sich hier verborgen, um in Gedanken schon zu erleben, was einmal sein würde. Er sah sich schon als Besitzer des Gasthofes, Erbe eines großen Vermögens. Im geheimen Versteck warteten nicht nur Schmuck und Gold auf ihn, sondern auch Urkunden, die ihm den Besitz von Ländereien zusicherten.
Mehr und mehr würde er die Insel Wangerooge für sich vereinnahmen. Die Zeit der Hofrätin wäre vorbei und er an ihrer Stelle der ungekrönte König des Inselreiches. Sein Erbe würde
ihm den Weg ebnen. Woher der Reichtum kam, würden sich die Insulaner fragen und den toten Wirt verdächtigen, sich in all den Jahren unrechtmäßig bereichert zu haben. Sollten sie doch! Ein Toter konnte sich nicht mehr gegen Unrecht wehren. Er, Wiltert, wäre ein gemachter Mann.
Jetzt aber war plötzlich alles anders. Und daran trug nur dieser rothaarige Teufel die Schuld. Wiltert ballte die Hände. Wenn dieser Kerl nur hier wäre! Jeden Knochen im Leib würde er ihm brechen.
Doch niemand war da. Nicht einmal sie ! Er hatte mit den Augen alles abgesucht, ohne Erfolg. Vor einigen Tagen hatten die Insulaner Treibholz eingelagert. Wenn sie nun dem sperrigen Strandgut hatte weichen müssen? War sie etwa dem Meer übergeben worden? Nein, das würde niemand wagen! Oder doch? Fiebrige Hitze schoss ihm durch die Glieder. Wenn sie fort war, dann war er verloren! All die Jahre des Wartens, all die Träume, umsonst. Er stöhnte auf und barg seinen Kopf in den Händen. Fast schien es, als ob sein Geist in Dunkelheit versinken wollte. Wiltert glaubte Stimmen zu hören, die ihn verhöhnten, Fratzen zu sehen, die ihn auslachten. Doch dann merkte er, dass es nur der Wind war. Er heulte um den Turm. Wiltert presste die Hände auf die Ohren und verharrte einige Zeit zusammengekauert. Das Wetter schien sich mit den Insulanern verbündet zu haben und ihn zu verhöhnen.
Hass stieg in Wiltert auf. Er wünschte sich plötzlich, die ganze verdammte Insel mit allen Menschen darauf würde im Meer versinken. Wenn er fort musste, dann sollten auch die anderen nicht bleiben dürfen. Eine heftige Böe ließ ihn erneut die Ohren verschließen. Was für ein schreckliches Gefühl, bei diesem Wetter hier im Turm eingesperrt zu sein. Seine Hände begannen in einem wilden Rhythmus auf den Holztisch zu schlagen. Raus! Er wollte hier raus! Doch nichts geschah, niemand hörte ihn.
Wiltert atmete tief ein und versuchte, sich zu beruhigen. Er hob den Kopf und konzentrierte sich auf das Licht der Lampe. Er durfte jetzt nicht wahnsinnig werden, sich nicht zermürben lassen. Den Gefallen würde er ihnen nicht tun! Wiltert straffte
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