Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
Freya klatschte begeistert in die Hände. Sie rannte zum Meeressaum und kam mit der leeren Eihülle eines Rochens zurück.
»Seht nur, eine Nixentasche!«
Wemke beobachtete die beiden mit einem glücklichen Lächeln. Sie trat an Jeels’ Seite und tastete nach seiner Hand. Der Sand schmiegte sich um ihre Füße, das leise Rauschen der Wellen umhüllte sie sanft, und ein warmer Wind streichelte ihre Haut.
Mit allen Sinnen nahm Wemke die Insel in sich auf. Wangerooge war ihre Heimat geworden. Sie konnte sich nicht mehr vorstellen, jemals woanders gelebt zu haben. Mit in den Nacken gelegtem Kopf schaute sie zum Himmel hinauf. Das Licht war heute besonders intensiv. Alle Farben schienen deutlicher hervorzutreten. Sie stand in strahlendem Sonnenschein, und Wärme durchflutete sie. Kälte und Einsamkeit gab es in ihrem Leben schon lange nicht mehr.
Tief aus ihrem Inneren stieg ein Freudenschrei in ihr auf und sie sprang hoch in die Luft. Dann breitete sie die Arme aus und rannte los, immer am Wasser entlang. Freya folgte jauchzend ihrem Beispiel.
Jeels pfiff nach Benno und schlenderte den beiden langsam hinterher. Er beobachtete sie mit einem Lächeln auf dem Gesicht.
Was für ein glücklicher Mann er war! Die Entscheidung, auf Wangerooge zu bleiben, hatte er nie bereut. Sogar Hilde gefiel es hier. Sie war nach der verheerenden Flut zu ihnen auf die Insel gekommen. Keine drei Wochen nach der Wiederaufnahme des Fährbetriebes stand sie urplötzlich vor ihm, die Hände in die Hüften gestemmt.
»Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt …« Ihre Worte klangen strafend, doch ihre Augen hatten gelacht. Dann waren sie einander glücklich in die Arme gefallen, und auch Benno hatte sich vor Freude kaum fassen können. Und jetzt würde nichts und niemand Hilde wieder nach Bremen schaffen können. Sie hatte ihr Herz an die Insel und nicht zuletzt an Freya verloren, mit der sie endlose Stunden am Strand verbrachte. Jeels musste lachen, wenn er daran dachte, welch große Abneigung die Haushälterin einmal gegen Wangerooge gehegt hatte.
Er wurde wieder ernst, als er an die schwere Zeit nach der Neujahrsflut zurückdachte. Zum Lachen hatte es damals keinen Grund gegeben. Seine Kate war eine der wenigen, die von den Fluten verschont geblieben war. Männer der Regierung hatten der Insel einen Besuch abgestattet, um die Verheerungen der Sturmflut zu begutachten. Der Bau eines Leuchtturmes im Südosten war beschlossen worden und die Anlage eines neuen Friedhofes im Osten. Konrad hatte nach einem bewegenden Gottesdienst dort die letzte Ruhe gefunden. Die herrschaftliche Badeanstalt war nicht wieder aufgebaut worden. Weder der Landesherr noch die Regierung hatten ein Etablissement in den Ostdünen eröffnen wollen. Viele Wangerooger waren daraufhin dem Wunsch der Regentschaft gefolgt und auf das Festland gezogen.
Der Großteil der verbliebenen Insulaner war erst in diesem Jahr zum Ostdorf übergesiedelt.
Mit einer kümmerlichen Unterstützung durch die Obrigkeit
hatten sie rund um den neuen Turm ihre Häuser errichtet. Mit den neuen Wohnstätten hatten sich auch wieder erste Gäste eingefunden. Menschen, die nicht die Geschäftigkeit eines großen Seebades suchten, sondern Ruhe und Zurückgezogenheit. Die Vermietung und Bewirtung war wieder aufgenommen worden. Bescheiden zwar, aber dafür mussten sich die Insulaner künftig auch nicht mehr die Gängeleien einer Hofrätin gefallen lassen.
An all das dachte Jeels, während er langsam durch den warmen Sand hinter Wemke und Freya her schritt. Ab und zu blieb er stehen, um auf Benno zu warten, dem lange Wege nicht mehr so leichtfielen. Das Anwesen in Bremen hatte er verkauft und neben der alten Kate, die jetzt von Krischan bewohnt wurde, ein neues Haus bauen lassen. Dort lebte er mit den Menschen, die er liebte. Ein Teil des Gebäudes diente ihm zur Behandlung seiner Patienten, weitere Räumlichkeiten wurden im Sommer an Gäste vermietet.
Seine besonderen Fähigkeiten hatten sich bis zum Festland herumgesprochen. Es setzten sogar Menschen für ein oder zwei Tage mit der Fähre über, nur um sich von ihm helfen zu lassen. Wemke unterstützte ihn in all seinem Tun. Sie hatte das Malen und Musizieren wieder aufgenommen und gestaltete für die Gäste Abende im Ankerplatz . Die Gaststube war als eines der ersten Häuser fertiggestellt worden, und auch im neuen Dorf war sie Angelpunkt für dörfliche Treffen und geselliges Beisammensein.
Vor Jeels’ Augen tauchte der neue Leuchtturm auf, um
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