Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
riskieren, im nächsten Sommer leer auszugehen?«, polterte der Wirt los. »Du weißt doch, wie es Georg ergangen ist. Sein
Gesuch auf Selbstbestimmung ist im letzten Jahr abgeschmettert worden, und wie hat ihn die Hofrätin dafür leiden lassen! Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, dann müssen wir uns alle einig sein.«
»Aber was, wenn die Frau Geheime dann das Handtuch wirft?«, gab der Schmied zu bedenken. »Ihr könnt nicht bestreiten, dass sich unter ihrer strengen Hand in den letzten Jahren vieles zum Vorteil verändert hat. Wir verdienen alle an den Gästen, die sie hierherdirigiert und empfängt wie eine Königin. Und wie sie alle betüdelt! Also ich könnte und wollte das nicht. Und denkt an den ganzen Hofstaat, die Musikanten, Sänger, die Tanzabende, das Personal, der ganze Betrieb mit Meer-, Regen- und Warmwasserbädern, die Unterbringung der Gäste - wer würde das alles so gekonnt führen wie die Frau Geheime? Sie ist und bleibt die Herrscherin unseres Badereichs. Und ihr könnt sagen, was ihr wollt, sie nötigt mir Respekt ab.« Seine Miene drückte widerwillige Anerkennung aus.
Für einen Moment hingen die Männer stumm ihren Gedanken nach. Der Schmied griff nach seinem Krug und nahm einen langen Schluck. Der Schuhmacher saß am Fenster und zwirbelte mit spitzen Fingern seinen Backenbart.
»Wer ist denn das?«, fragte er plötzlich in die Stille hinein und wies auf einen Mann, der sich langsamen Schrittes auf den Gasthof zubewegte.
Der Wirt blickte nun auch aus dem Fenster und zuckte die massigen Schultern. »Den hab ich hier noch nie gesehen. Ist keiner der Leute von der Frau Geheimen. Nicht schick genug, wenn ihr versteht, was ich meine.«
»Stimmt«, sagte der Schmied.
Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete der Wirt den Ankömmling. »Der sieht nach nix aus, nach reinweg gar nix!«, stellte er schließlich fest. Und damit war über den Fremden das Urteil gesprochen.
»Er bewohnt das Voss-Haus«, warf der Bäcker ein, der froh war, auch etwas zur Unterhaltung beisteuern zu können. »Hat sich vor zwei Tagen mit Brot bei mir eingedeckt. Und stellt euch vor«, er dämpfte die Stimme, »der Krischan arbeitet bei dem.«
»Der Krischan? Na, dann wird er sein Geld schneller los sein, als er gucken kann.« Verächtlich schnaubte der Wirt. »Ich glaube, der Kerl will uns besuchen. Na, dann beweg ich mich mal hinter den Tresen. Vielleicht verdien ich noch was an ihm.«
Hinrich Luts, der einzige Zimmermann Wangerooges, saß ganz hinten am Tisch. Er war klein und drahtig. Helles Haar lockte sich auf seinem Kopf, und er trug einen Vollbart. Hinrich sprach sonst kaum ein Wort und widmete sich lieber seinem Bier. Auch heute hatte er sich aus allem herausgehalten, doch die Beurteilung des Wirts und das nachfolgende Gespräch veranlassten ihn dazu, sich jetzt zu Wort zu melden.
»Das ist ein ganz feiner Kerl«, sagte er laut. »Will sich heute bei uns vorstellen. Ich hab ihm erzählt, dass wir uns sonntags im Ankerplatz treffen und ihn eingeladen. Er möchte die Männerrunde verstärken, damit die Weiber uns nicht völlig unterkriegen.«
Dann wurde ihm plötzlich klar, dass er mit seinem Urteil über Jeels eine andere Meinung ausgesprochen hatte als der Wirt, dessen Wort für die Insulaner maßgebend war. Prompt trafen ihn strafende Blicke. Hinrich Luts’ Gesicht rötete sich und er schaute betrübt hinab in seinen Bierkrug.
Hannes hatte sich schon erhoben, hielt nun aber in der Bewegung inne. »Woher weißt du das alles, Hinrich? Kennst du den Mann etwa näher?«
Der Zimmermann zog verlegen den Kopf ein. »Nein, nicht so richtig. Aber ich habe gestern für ihn gearbeitet. An der Kate war noch einiges zu richten.« Ein Lächeln schlich sich auf
sein Gesicht. »Es war nett da. Der Rothaarige konnte ganz genau erklären, wie er alles haben wollte. Hat was übrig für feine Schnitzereien und gutes Material. Ihm gefielen meine Arbeiten sehr.« Stolz straffte er die Schultern. »Und dann hat er mich auch gleich ausbezahlt. Sogar etwas mehr hat er gegeben, weil ich bis in den Abend hinein gearbeitet hab.«
»Ach«, stieß der Wirt abfällig aus, »der hat es doch nur schlau angestellt und sich deine Zuneigung mit schönen Worten und Geld erschlichen. Wusste wohl, dass du gern einen nimmst«, stichelte er mit Blick auf Hinrichs Bierkrug.
Eine Zornesfalte erschien auf der Stirn des Zimmermanns. »Nein, so einer ist das nicht«, sagte er heftig. Er hasste es, im Mittelpunkt des Geschehens zu
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