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Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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es richtig gewesen, auf diese Insel zu kommen? Was erwartete er? Seine Mutter war tot und begraben. Plötzlich traf ihn der Verlust mit ganzer Wucht. Diese Insel riss ihm Wunden, die er zuvor nicht gehabt hatte. Und dabei schmerzte ihn die Trauer um den Vater noch so sehr! Er fragte sich, ob er all dies würde ertragen können.
    Um sich von seinen finsteren Gedanken zu befreien, öffnete Jeels die Augen und verlor sich in der schier endlos scheinenden Weite des Wassers.
    »Das Meer ist unendlich«, schoss es ihm durch den Kopf, »aber wir sind es nicht. Wir sind nur Wassertropfen, die, wenn es Zeit ist, von der Sonne fortgetragen werden.«
    Seine Mutter war fort. Doch vielleicht wartete irgendwo auf dieser Insel noch ein Schatten von ihr auf ihn. Darauf wollte er hoffen.
    Mit den Schuhen in der Hand setzte Jeels sich wieder in Bewegung. Der Strand war menschenleer, und der Sand schimmerte goldgelb im Licht der Sonne. Ein paar Fischerboote trieben gemächlich auf die ruhige See hinaus. Schwärme von Möwen umkreisten sie. Trotz der Kühle an seinen Füßen wurde es Jeels warm. Durch das Wasser zu schreiten und die Füße dabei immer wieder dem Sog des Sandes zu entziehen, kostete Mühe. Die Sonne schien hier auf der Insel mehr Kraft zu besitzen als auf dem Festland. Jeels war dankbar für den breitrandigen Hut, den Krischan ihm geborgt hatte.
    Und dann kam vor ihm der Damenbadestrand beim Leuchtturm in Sicht. Kutschen warteten, wie Soldaten in einer Reihe aufgestellt, schon auf den nächsten Einsatz. Ein verwaistes Häubchen wurde vom Wind durch den Sand getrieben. In den Dünen konnte Jeels ein Zelt ausmachen. Aufgeschlagen, damit sich die Frauen, geschützt vor Sonne und Wind, zwischen den Bädern ausruhen konnten.

    Jeels’ Blick wanderte zu dem Weg, der vom Strand fortführte. Er seufzte, zog sich die Schuhe wieder an und wandte langsam, fast zögerlich, dem Meer den Rücken zu. Er passierte das Zelt in den Dünen und gelangte kurz darauf zu einem umzäunten Anger, auf dem Schafe weideten. An einen Holzpfosten gelehnt blieb er stehen und betrachtete den Leuchtturm, an dessen eine Seite sich ein Steinhäuschen schmiegte. Das Kupfer der Kuppel glänzte im Sonnenlicht. Krischan hatte erzählt, dass man oben, von der Galerie des Turms aus, bei gutem Wetter bis nach Helgoland schauen konnte.
    Endlich erreichte er den von Strauchwerk umgebenen Friedhof. Er lag in einer Mulde zwischen grün bewachsenen alten Dünen. Kein Baum sorgte für Schatten. Das befremdete ihn. Die Friedhöfe, die er kannte, waren alle von Bäumen umsäumt. Das war ihm immer seltsam tröstlich erschienen. Vielleicht legte sich deshalb so etwas wie Beklemmung um Jeels’ Herz. Zögernd trat er durch den von einigen Trittsteinen markierten Eingang. Sein Blick fiel auf eine eingeebnete Fläche mit alten Gräbern. Einige verwitterte Steine bildeten die einzigen Überreste. Ein anderer Teil des Friedhofs war neu belegt. Denkmäler aus Holz oder Stein, einige kunstvoll gefertigt, die meisten jedoch eher schlicht gehalten, zierten die Grabstellen.
    Jeels schaute sich suchend um und fand schließlich das von Gras und Strandflieder überwucherte Grab seiner Mutter. Als Grabmal diente eine lange schmale Holztafel. Reemke van Voss , las Jeels, und sein Blick saugte sich an dem eingravierten Todestag fest. Sein Geburtstag! Er musste schlucken. Wie gerne hätte er sie gekannt. Obwohl es ihm bei seinem Ziehvater an nichts gefehlt hatte, hatte ihn als Kind oft die schmerzhafte Sehnsucht nach einer Mutter, wie die anderen Kinder sie hatten, geplagt. Doch erst hier auf der Insel wurde ihm bewusst, was ihr Tod tatsächlich für ihn bedeutete. Niemals würde er seine Mutter, den Menschen, mit dem ihn mehr verband als
mit jedem anderen, kennenlernen können. Die Erkenntnis war in diesem Moment fast mehr, als Jeels ertragen konnte.
    Er ging in die Hocke, um die Schnitzarbeit unter der Schrift näher zu betrachten. Während die anderen Grabtafeln zumeist mit Schiffen oder Kreuzen versehen waren, hatte der Künstler bei seiner Mutter Hände abgebildet. Seltsamerweise waren diese nicht zum Gebet gefaltet, sondern zu einer Schale geformt. Und gefüllt waren sie mit großen Muscheln. Jeels stutzte. Hände! Wenn er an das Gespräch mit Krischan dachte, dann war dies sicherlich kein Zufall. Seine Mutter hatte ohne Zweifel genau wie er heilende Hände gehabt. Dies war ihm ein Trost. Es verband sie miteinander. Still dankte er ihr für diese Gabe, die sie an ihn weitergereicht

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