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Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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fürchtete. Auch nicht vor mir. Beharrlich stand sie auf meiner Schwelle und wollte von mir lernen.
Und so weihte ich sie in all mein Wissen ein, während deine Großmutter ihr Lesen und Schreiben beibrachte.
    Als Tede starb, wisperten die Insulaner, Reemke habe ihren Vater eigenhändig umgebracht. Doch das glaube ich nicht. Niemand weiß, wie Tede van Voss ums Leben kam. Eines Tages fand man ihn unweit vom Strand tot auf. Keine zehn Tage später starb deine Großmutter. Es war, als sei mit dem Tod des Mannes all ihr Lebenswille erloschen. Reemke bestand darauf, dass die Mutter nicht neben ihrem Mann beerdigt werden sollte, und sie verweigerte dem Vater die Holztafel mit den persönlichen Daten. Nichts sollte an ihn erinnern, nichts von ihm bleiben.«
    Jeels erhob sich. Die Worte der Alten hatten ihn aufgerüttelt. Ruhelos ging er zum anderen Ende des Raumes, um schließlich wieder zu seinem Platz zurückzukehren. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken.
    Als die Stille zu lange anhielt, sagte Tedamöh leise: »Du fürchtest dich vor dem Schlechten in deinem Blut?«
    »Sollte ich das nicht, nach allem, was du erzählt hast?« Jeels lachte freudlos. »Ich habe die Gabe. Sie wird von Generation zu Generation vererbt und das, wenn man deinen Worten Glauben schenken darf, ohne Ausnahme. Wer weiß, was noch in mir schlummert?«
    Tedamöh nickte bedächtig. »Ja, du hast die Gabe. Aber trägst du sie nicht mit Würde? Du hast deine Fähigkeiten als Geschenk angenommen und nie missbraucht. Wir Menschen haben immer die Möglichkeit, zwischen Gut und Böse zu wählen. Und du hast dich für das Gute entschieden. So wie deine Mutter, die ich niemals etwas Schlechtes habe tun sehen. Auch wenn die Insulaner ihr viel Übles zusprechen.«
    Jeels versuchte, die Beklommenheit abzuschütteln. »Gut, dass mein Stiefvater über meine Herkunft nichts wusste«, presste er schließlich hervor. »Vielleicht hätte es ihn abgeschreckt.«
    Wieder nickte Tedamöh ernst. »Hier auf der Insel hätte dich niemand aufgenommen. So wie niemand bereit war, Jeelke und Reemke zur Seite zu stehen, als ich sie darum bat. Alle fürchteten das Böse. Es war ein Segen, dass der Fremde dich mit sich nahm, fort von Wangerooge.«
    Jeels dachte an den Mann, der sein Vater geworden war, und unversehens schossen ihm die Tränen in die Augen. Tedamöh legte eine Hand auf seinen Arm. Als Jeels sich wieder gefasst hatte, holte er tief Atem. Er musste sich zwingen, die Frage zu stellen, die ihm seit Beginn des Gesprächs auf den Lippen gelegen hatte.
    »Tedamöh, wer war mein Vater?«
    Die Alte spitzte die Lippen. »Ich weiß es nicht mit Gewissheit. Und was man nicht ganz genau weiß, das sollte man lieber für sich behalten.«
    »Aber du hast eine Vermutung.« Jeels beugte sich zu ihr vor. Sie nickte nur. »Dann sag es. Ich muss es einfach wissen.«
    Tedamöh schüttelte den Kopf. »Es würde nichts nützen. Der Mann ist tot.« Sie schlug die Augen nieder. »Und Jeels, du solltest nicht zu tief in der Vergangenheit graben. Das führt zu nichts Gutem.«
    Jeels betrachtete sie nachdenklich. Warum machte sie ein solches Geheimnis um ihren Verdacht? Was steckte dahinter?
    »Eines muss ich dir noch erzählen«, unterbrach Tedamöh seine Gedanken. »In der Nacht, als du geboren wurdest, da hat mir Reemke in ihrer schwersten Stunde von Gold und Schmuck erzählt, welchen sie dir zu vererben habe. Sie schien zu spüren, dass es vielleicht kein gutes Ende nehmen würde mit ihr, und bat mich, einen Beutel für dich aufzubewahren. Als dann das Schreckliche geschah und sie starb, da habe ich ihre Bitte völlig vergessen. In mir war nur noch Trauer und außerdem die Sorge um dich und deinen Verbleib. Später dann bin ich in die Kate zurückgekehrt, um dein Erbe an mich zu
nehmen. Doch an dem Platz, den sie mir genannt hatte, fand ich nichts außer einigen Haushaltsgegenständen.« Sie zuckte die Schultern. »Vielleicht war Reemke im Augenblick des größten Schmerzes nicht mehr sie selbst und wusste nicht, was sie sagte. Ich kann es mir anders nicht denken. Wie soll das Menschenkind auch zu Geld gekommen sein? Aber so weißt du zumindest, dass sie selbst in dem Moment, als der Tod schon seine Finger nach ihr ausstreckte, nur um dein Wohl besorgt war.«
    Tedamöh stützte sich auf die Armlehnen des Stuhls und stand auf. »Und nun ist es genug mit Fragen und Antworten. Eine alte Frau wie ich ermüdet schnell. Ich brauche jetzt einen Happen zu essen und meinen Mittagsschlaf.

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