Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
war am besten, jegliche Annäherungsversuche der männlichen Badegäste im Keim zu ersticken. Nicht in allen Fällen war ihr Trauschein auch eine Garantie dafür, nicht belästigt zu werden. So einfach, wie die Hofrätin sich das vorgestellt hatte, war es nicht. Das hatte Wemke in den letzten Tagen zur Genüge erfahren.
Sie schloss die Augen. Nach einem langen Arbeitstag und weiteren zweieinhalb Stunden in der Gesellschaft der Badegäste war Wemke mit ihrer Geduld allmählich am Ende. Ihr Kiefer schmerzte vom obligatorischen Lächeln, und in ihren Schläfen pochte es. Sie war es leid! All diese sinnlosen, oberflächlichen Gespräche. All diese Menschen mit ihren mehr oder weniger eingebildeten Erkrankungen. Zugegeben, es waren einige darunter, denen die Inselluft tatsächlich zu helfen schien. Asthmatikern wie Konrad beispielsweise. Aber die meisten der Badegäste kamen hierher, um dem zu frönen, was sie am liebsten taten: dem Müßiggang. Es war der schiere Luxus, der ihnen hier auf Wangerooge geboten wurde. Die Mehrzahl der Gäste war im Logierhaus untergebracht. Daran angrenzend befand sich das Konversationshaus, wo auch die Speisen gereicht wurden. Die Gebäude lagen inmitten eines wunderbaren Parks im Westen der alten Vogtei. Im Logierhaus, einem großen, langgezogenen Gebäude mit fünfundvierzig Zimmern, war ein Raum weitläufiger und eleganter als
der nächste. Bis zu neun Reichstaler kostete die Unterbringung pro Tag. Ein Betrag, von dem eine Wangerooger Familie nur träumen konnte. Die Gäste, die Hofrätin Bartling den Einheimischen zuteilte, zahlten nur einen Bruchteil dessen. Wer als hochrangig gelten wollte, ließ sich den Aufenthalt auf der Insel etwas kosten. Und von diesen Leuten gab es jede Menge. Für einige von ihnen war der Inselurlaub etwas Gewohntes, Alljährliches, für andere ein neues exotisches Abenteuer.
Anfangs war es Wemke eine Freude gewesen, wieder mit Menschen zusammen zu sein, die ihre Leidenschaften wie Singen, Lesen und Malen teilten, die sich gerne von ihr anregen und schulen ließen. Doch der ständige Umgang mit diesen ach so gebildeten Gästen nagte an ihr. Es gab kein Entkommen vor ihnen, und Wemke konnte es schon bald kaum mehr erwarten, wenigstens für einige Momente alleine zu sein. Die Tage wurden ihr lang, und Freya sah sie nur selten. Es war ein Trost, dass die Kinderfrau so gut für die Kleine sorgte. Die Hofrätin erwartete, dass sich Wemke tagsüber ganz ihren Aufgaben widmete und abends am gesellschaftlichen Leben teilnahm. Wenn Wemke endlich frei hatte, dann schlief das Kind meist schon, und sie selbst fiel todmüde ins Bett. Sie seufzte tief.
»Hast du Sorgen, Liebes?« Konrad strich über ihren Arm, und Wemke rang sich ein Lächeln ab.
»Nein. Mir wird es nur manchmal zu viel, mich Tag und Nacht auf die Fremden einzulassen.«
»Es ist nicht immer so«, beruhigte Konrad sie. »Im Herbst kommen viele Gäste, die eher für sich sein wollen. Und im Winter sind nur noch Einheimische auf dem Eiland. Dann wirst du Zeit für dich haben, für Freya und wir vielleicht füreinander.« Er lächelte sie fragend an. Wemke drückte dankbar seine Hand, wich jedoch seinem Blick aus, während er sie sanft, aber bestimmt über die Tanzfläche führte. Konrad war das Beste, was ihr hätte passieren können. Das sagte sie sich
immer wieder. Einen rücksichtsvolleren Mann gab es nicht. Auch nach der Hochzeit waren sie lediglich Freunde geblieben. Ihre Ehe bestand auf dem Papier, und nur dort - so wie er es ihr versprochen hatte. Dafür war Wemke dankbar, denn sie mochte Konrad zwar, aber sie liebte ihn nicht. Deshalb bereitete es ihr Sorgen, dass er scheinbar nach und nach begonnen hatte, mehr für sie zu empfinden.
Nach dem Tanz nahm Konrad sie mit zu seinem Gesprächspartner. Doch bald waren die beiden Männer so vertieft, dass sie nicht bemerkten, wie Wemke sich entfernte. Sie schlenderte langsam an bekannten Gesichtern vorbei, von denen sie bislang aber nur wenigen Namen zuordnen konnte. Es war eine bunte Mischung von Menschen, die hier aufeinandertrafen: Kaufleute und Bankiers in gesetzter Kleidung, reiche Bauern und Pensionäre, würdevolle Beamte und schneidige junge Männer in sportlichen Anzügen und mit seidenen Halstüchern. Die Damen liebten pompöse Abendgarderobe. Eng anliegende Oberteile, mit Rüschenkragen, Schleifenbändern und Unmengen von Spitze verziert, gingen in weite, von Reifen unterstützte Röcke über. Wemke wusste, dass sie in dem blauen Leinenkleid
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