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Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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mit den Puffärmeln und dem runden Ausschnitt sehr schlicht aussah. Aber es war zumindest luftig, und sie fühlte sich wohl darin.
    Wemke eilte zur Rückseite des Pavillons. Wege zweigten hier in verschiedene Richtungen ab. Zwei elegant gekleidete Damen schwebten an ihr vorbei und bedachten sie mit abschätzigen Blicken.
    Der Hofrat kam winkend auf sie zu. Wemke fühlte sich ertappt und errötete. »Sie fliehen also auch, meine Liebe! Na, mich macht diese Strafe des Plauderns mit den Gästen ebenfalls regelmäßig verrückt. Ich kann es manchmal nicht mehr aushalten!« Er fächerte sich, trotz des schon späten Abends, mit seinem breitkrempigen Hut Luft zu. »Wie können so viele
Menschen zusammen nur so wenig sagen? Und wir müssen zu alledem auch noch verständnisvoll nicken.«
    Wemke lächelte ihm verlegen zu. »Mein Kopf schmerzt ein wenig, daher wollte ich mich für eine kleine Weile an den Strand zurückziehen.«
    »Na, dann will ich Sie nicht auch noch mit meinem langweiligen Gewäsch aufhalten!« Der Hofrat wandte sich zum Gehen.
    Wemke beeilte sich, ihm zu widersprechen. »Aber Herr Hofrat, sich mit Ihnen zu unterhalten ist nun wirklich …«
    »Lassen Sie nur, meine Liebe«, winkte er ab. »Gehen Sie zum Strand und genießen die Stille. Ich werde den Pöbel«, er nickte in Richtung Pavillon, »derweil ablenken und davon abhalten, Ihnen zu folgen.« Leicht schwankend, denn er nahm schon sehr früh am Abend von dem schweren Wein, stürzte er sich der Menge entgegen.
    Wemke wählte einen der wenig begangenen Wege, um ans Meer zu gelangen. Immer wieder behinderten kleine Sandverwehungen ihr Vorankommen. Wemke schaute sich verstohlen um, und als kein Mensch zu sehen war, streifte sie erleichtert zuerst die Schuhe und dann die Strümpfe von den Füßen. Welch ein Gefühl der Freiheit! Wemke grub ihre Zehen in den Sand.
    Verlassen lag der Strand vor ihr. Wemke trat auf das Wasser zu. Das Meer zog sie magisch an. Es wirkte wie ein Freund, und einladend lockten die Wellen sie, noch näher zu kommen.
    Wemke war dankbar für die Einsamkeit. Sie atmete tief durch und legte den Kopf in den Nacken, um zu den Sternen aufzusehen. Es war eine ungewöhnlich klare Nacht. Der volle Mond schwebte, wie von unsichtbaren Fäden gehalten, am Himmel. Die Sterne hatte er um sich geschlungen wie eine unendlich lange Kette. Zum Greifen nah hingen die glitzernden Perlen am wolkenlosen mattschwarzen Firmament. Abgesehen
vom Wellenrauschen, dem Rascheln der Dünengräser und einem gelegentlichen leisen Vogelschrei herrschte völlige Stille. Die ruhige See kräuselte sich im silbrigen Mondlicht. Wemke setzte sich auf einen großen, vom Wasser umspülten Stein und tauchte die Fußspitzen in die heranrollenden Wellen. Sie schob den Rock hoch und öffnete einige Knöpfe ihres Kleides. Einem Impuls folgend zog sie die Nadeln aus ihrer Hochsteckfrisur und schüttelte ihre Locken aus. Welch ein Genuss, den kühlen Wind auf der Haut zu spüren, seine sanften Finger in ihrem Haar. Wemkes Augen schweiften zum Horizont. In der mondhellen Nacht schienen die Entfernungen endlos und unermesslich.
    Mit der nächtlichen Einsamkeit überkam Wemke ein Gefühl von süßer Wehmut. Erinnerungen regten sich, Bilder formten sich in ihrem Kopf. Vor ihrem inneren Auge sah sie den Obstgarten, der zu dem kleinen Zuhause ihrer Kindheit gehörte, die benachbarte Koppel, über der an Sommertagen der würzige Geruch von frischem Heu hing. Geburtstage wehten mit dem Duft von frisch gebackenem Kuchen durch ihre Gedanken, und Erinnerungen an Nächte wie diese wurden wach. Lange Spaziergänge hatte sie an warmen Sommerabenden mit den Eltern unternommen. Der Geruch von Lindenblüten, Geißblatt und regennassem Gras stieg ihr in die Nase. In solchen Nächten hatte sie ihre Mutter verstanden, die hinter allem, was geschah, einen großen Plan sah und sich selbst als Teil davon. Wemke musste schlucken. Über das Meer von Einsamkeit hinweg fühlte sie sich auf wundersame Weise wieder mit den Menschen, die sie liebte, verbunden. Wie schön es wäre, sie noch an ihrer Seite zu haben!
    Der Kloß in Wemkes Hals wuchs. Selbstmitleid drohte sie plötzlich zu überrollen, so wie die Wellen den Sand. Warum musste sie ganz alleine mit der großen Verantwortung um ihre Schwester auf der Welt stehen? Und was um alles in der Welt
tat sie hier auf dieser Insel? All ihre Vorstellungen von einem wundervollen Leben und Geborgenheit hatten sich in Luft aufgelöst. Es gab keine langen

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