Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman
anzusehen. Viele glaubten, er werde nun dem Teufel immer ähnlicher. Aber wie ich am eigenen Leibe erfahren muss, werden wir alle älter und schrumpfen zusammen.« Sie zuckte resigniert die Schultern. »Ob dein Stammesvater also tatsächlich mit dem Teufel im Bunde war, das weiß niemand so genau. Es ist zu bezweifeln.« Sie beugte sich verschwörerisch zu Jeels vor. »Ich, mein Sohn, glaube im Grunde meines Herzens gar nicht an den Teufel, sondern halte ihn für eine Erfindung der Menschen. Es muss ja einen Sündenbock für alles und jedes geben. Besonders wenn man für die eigenen Missetaten nicht geradestehen will. Und die Prediger halten den Teufelsglauben doch nur so hoch, damit sie uns Angst einjagen können und wir sie ebenfalls fürchten und achten. In Wahrheit will ich nur zu gerne den Teufel verleugnen und lieber an einen gütigen Gott
glauben. An einen, der den Menschen barmherzige Liebe entgegenbringt. Tatsache ist und bleibt jedoch, dass dein Vorfahre viele geheimnisvolle Dinge konnte.«
Jeels hatte Tedamöh schweigend gelauscht. Jetzt beugte er sich zu ihr vor. »Ich war auf dem Friedhof. Auf den Grabtafeln meiner Vorfahren finden sich Muscheln und ein Dreizack. Weißt du, was das zu bedeuten hat?«
Tedamöh nickte. »Bei deiner Mutter sind es mit Muscheln gefüllte Hände. Bei uns auf Wangerooge sagt man, dass große Muscheln ein Geschenk der Nixen sind. Die Meerfrauen wollen mit dieser Gabe Abbitte leisten für das Böse, das die Meermänner den Menschen antun. Und mit diesen Meermännern wurden die Van-Voss-Männer verglichen. Deshalb wurde auf deren Grabtafeln häufig der Dreizack als Motiv verwendet. Er ist nicht nur die Waffe des Meeresgottes Neptun. Oftmals wird auch der Teufel mit einem Dreizack dargestellt.
Du siehst also, die Menschen hier werden glauben, dass auch du mit dem Teufel gemeinsame Sache machst. Nicht alle, aber einige. Besonders die Älteren, die dem Aberglauben noch stärker anhängen. So wie deine Mutter für sie eine Zauberin war. Und daher wird dir hier so mancher mit Misstrauen begegnen.« Sie nahm bedächtig einen langen Schluck aus ihrer Schale. Dann griff sie nach dem Krug und füllte beide Becher wieder auf.
Es herrschte eine eigentümliche Stimmung zwischen ihnen, die sich Jeels nicht erklären konnte. Wäre da nicht ihre Unfreundlichkeit gewesen, er hätte es Vertrautheit genannt.
»Du sagst, mein Vorfahre sei einsam gewesen. Niemand wollte etwas mit ihm zu tun haben. Aber er hat Nachfahren in die Welt gesetzt. Er muss sich eine Frau gesucht haben …«
Tedamöh unterbrach ihn seufzend. »Er hat sich eine Frau genommen, so ist es gewesen. Keine wäre freiwillig bei ihm geblieben.«
Jeels zuckte zusammen.
»Es war die Tochter des Pastors, die er sich erwählte, so erzählt man sich. Vielleicht, um das Grauen noch zu schüren. Einer, der des Teufels ist, nimmt sich etwas Göttliches. Er schwängerte dieses arme Mädchen, und danach wandten sich alle von ihr ab. Sie soll sich nach der Geburt des Sohnes das Leben genommen haben. Man sagt, aller Lebenswille verließ sie angesichts des roten Haars und der grünen Augen.
Weißt du, die Männer deines Blutes haben sich schon immer genommen, was sie wollten. Und meistens wurden die Frauen an ihrer Seite nicht alt. Wenn man keine Liebe empfängt, sondern nur Besitz ist, dann hängt man nicht am Leben.
Deine Großmutter dagegen, Jeelke van Voss, war anders. Sie hat es lange ausgehalten an der Seite ihres Mannes. Eine Tochter, deine Mutter, hat sie ihm geboren. Und dieses Kind gab ihr die Kraft, neben ihrem Mann zu leben. Tede hieß er. Ich habe ihn gut gekannt. Er war dem ersten van Voss nicht unähnlich. Deiner Großmutter hat er es zum einen angekreidet, dass sie ihm nur eine Tochter gebar, und zum anderen schürte es seine Wut, dass diese auch noch die Gabe geerbt hatte. Tede hielt nichts von Frauen. Jeelke hatte unter seiner Wut und Boshaftigkeit schwer zu leiden.
Reemke verabscheute den Mann, der ihr Vater war. Sie allein hatte den Mut, sich gegen ihn zu stellen. Immer wieder versuchte sie, die Mutter vor der Brutalität des Vaters zu schützen. Wie oft habe ich das Haus, in dem du jetzt wohnst, aufgesucht, um Jeelkes Wunden zu versorgen. Und wie oft fand ich Reemke vor Wut rasend vor. Dabei war sie im Grunde ihres Herzens die Sanftmut selbst. Ich habe dieses Mädchen von Geburt an gekannt. Sie war ein bescheidenes und liebreizendes Kind und wurde später dann eine kluge Frau, die sich vor nichts und niemandem
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