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Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman

Titel: Das Geheimnis der Inselrose - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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diesen Insulanern wirklich nicht zu helfen.
     
    Als Reemke sich auf den Weg nach Hause machte, wurde es ihr schwer ums Herz. Es war April, und immer noch hatte sich der Vater nicht um Arbeit bemüht. Was, wenn er in diesem Jahr auf keinem Schiff anheuerte? Wie sollten sie das Leben überstehen ohne die Sommerzeit, in der sie frei waren? Reemke begann zu zittern. Wie lange würde sie es noch ertragen, neben diesem Mann zu leben? Wie lange würde sie dem, was er der Mutter antat, noch zuschauen können? Da half es auch nichts, dass diese sie anflehte, sich nicht einzumischen. Reemke merkte mehr und mehr, wie ihre Wut auf den Vater zum Ausbruch drängte. Sie spürte, wie das Blut in ihren Ohren zu rauschen begann.
    Reemke konzentrierte sich auf die Geräusche der Brandung und den Gesang der Seevögel, und es gelang ihr, ihre innere Ruhe zurückzugewinnen. In diesem Sommer würde sie gemeinsam mit der Mutter einen Plan schmieden. Bald würde der Vater fortgehen, sagte sie sich. Er musste einfach!
    Reemke bog vom Strand ab und steuerte auf die Dünen zu. Inselgäste flanierten am Wasser, und sie hatte keine Lust, ihnen zu begegnen. Das Logierhaus bei der Vogtei war schon jetzt, so früh im Jahr, fast ausgebucht. Im Jeverschen Wochenblatt, das durch Tedamöh den Weg in ihre Kate fand, wurde für den Inselaufenthalt geworben. Der Anbau des Konversationshauses mit Saal hatte Wangerooge für die Gäste noch interessanter
gemacht. Mehr und mehr begannen auch die Insulaner, im Sommer ihre Häuser für Gäste herzurichten. Sie selbst zogen auf den Dachboden oder nächtigten in der Küche, um die Wohnstuben für Gäste frei zu haben. Manch einer hatte schon seine Alkoven gegen feststehende Betten getauscht, damit die Besucher sich wie zu Hause fühlen konnten. Natürlich blieben einige Insulaner auch weiterhin lieber unter sich. Dazu gehörte selbstverständlich auch der Inselpastor, der gerade durch die Dünen auf sie zukam.
    Reemke sah ihm mit abweisendem Gesicht entgegen. Er war, neben dem Vater, ihr größter Feind. Die anderen Wangerooger mieden sie. Selbst die jungen Männer, die sonst jedes junge Mädchen als Herausforderung betrachteten, machten einen weiten Bogen um Reemke. Aber der Pastor ließ keine Gelegenheit aus, den van Voss zu zeigen, was er von ihnen hielt. Tede schüttelte ihn ab wie ein Hund die Flöhe, doch Reemke zitterte jedes Mal vor Wut, wenn er seine Tiraden losließ. Warum nur musste sie ihm ausgerechnet heute begegnen?
    Der Pastor war nicht viel größer als sie und von hagerer Gestalt. Das schon ergraute Haar bedeckte ein Hut. Sein Gesicht hatte wie stets einen sauertöpfischen Ausdruck, der von den missbilligend zusammengekniffenen Lippen noch unterstrichen wurde. Seine stechenden Augen blickten sie unter den dichten Brauen hervor böse an.
    Als sie auf gleicher Höhe waren, zischte der Gottesmann: »Neige den Kopf, Mädchen! Weißt du nicht, dass man einem Diener Gottes mit Gehorsam und Ehrfurcht begegnen muss?«
    Reemke blieb stehen und verschränkte die Arme. »Sind Sie denn wirklich Gottes Diener? Ich könnte schwören, dass er mit manchen Ihrer Taten nicht einverstanden ist.« Sie wusste, dass diese Antwort unklug war, aber sie konnte nicht anders. Ihr war heute nicht nach heucheln.
    Der Pastor sog hörbar den Atem ein. »Klein ist jede Bosheit
neben der eines Weibes!« Reemke sah die Zornesader an seinem Hals anschwellen. »Du - eine van Voss! - wagst es also, mir zu unterstellen, mein Tun sei nicht in Gottes Sinn? Teuflisch seid ihr alle. Bei Gott, du bist meine Strafe, ein Übel und Unglück besonderer Art. Schlimmer noch als die anderen Weiber. Dabei ist es kein Wunder, dass das schwache Geschlecht, schuldbeladen noch dazu, dem Bösen eher nachgibt. Wie oft muss ich eine Ehe schließen, nachdem das Weib einen Mann verführt hat. Dann tritt sie, sich die Lippen leckend wie eine Katze, mit geschwollenem Leib vor den Altar. Schändlich! Aber die Weiber sind ja von Natur aus gierig nach den Versuchungen des Fleisches und locken so die Männer. Unvollkommene Tiere, wie ich manchmal meine. Es fehlt ihnen an Verstand. So gelingt es dem Teufel immer wieder, die Oberhand über ein Weib zu gewinnen. Und die Männer lassen sich blenden. Aber du bist die Versuchung schlechthin und mehr noch als die anderen Weiber der Begehrlichkeit des Fleisches erlegen.«
    Reemke sah ihn fassungslos an. »Ich? Wie soll ich denn der Begehrlichkeit des Fleisches erliegen!« Sie war unsagbar wütend auf den Pastor. Und

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