Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)
nichts.«
Die beiden Wellensittiche glucksten von Neuem im Chor und bedachten ihren willkommenen Besuch aus der großen weiten Welt mit kleinen neckenden Stößen mit ihren Fächern.
›Und ich hatte Angst davor‹, dachte Nina, ›hier etwas Dummes sagen zu können! Zu intelligente Dinge wären wahrscheinlich das größere Problem.‹
Um ehrlich zu sein, psaste ihr die Situation ganz gut. Es war einfacher für sie, sich auf dieses Spiel einzulassen, als die politische Situation Annams kommentieren zu müssen.
Mademoiselle grüner Wellensittich beugte sich zu ihr.
»Diese Abende sind so lächerlich, nicht wahr? Eine furchtbare Ansammlung des schlechten Geschmacks«, murmelte sie ein wenig säuerlich und wies mit einer vielsagenden Geste in die Richtung des Kindes, das auf seinem Thron saß. »Was die Gesellschaft angeht, haben wir nichts Besseres als – das!«
Nina folgte ihrem Blick. Der kleine Kaiser sah aus, als fühlte er sich sehr unwohl. Ob er wohl ahnte, wie man über ihn sprach? Plötzlich empfand sie eine starken Zuneigung für ihn.
»Er scheint sich noch mehr zu langweilen als wir«, bemerkte sie. »Man muss sagen, dass das nicht ganz unverständlich ist …«
Es gab einen erneuten verblüfften Blickaustausch zwischen den Schwestern. Sie fragten sich, wie sie diese Worte zu verstehen hatten. Doch sie kamen nicht dazu, ihre Fragen weiterzuverfolgen. Eine Dame näherte sich ihrer kleinen Gruppe.
Sie war nicht so elegant und deutlich hässlicher als die beiden Schwestern. Ihr Haar war glanzlos, die Wangen ebenfalls, und ihr graues Kleid verströmte einen Geruch nach Kohlenkeller. Ihre Augen funkelten jedoch vor Boshaftigkeit. Ohne klare Gründe war Nina sofort auf der Hut.
»Guten Abend, Mademoiselle d’Armand, ich bin Madame Morton. Mein Mann hat mir von Ihnen erzählt. Wir waren überrascht, Sie in Hué zu sehen. Sie haben seine Nachricht doch erhalten, oder?« Eine innere Alarmglocke läutete in Ninas Kopf. Sie nahm eine steife Haltung an und hielt Madame Mortons durchdringendem Blick stand.
»Das habe ich, in der Tat«, antwortete sie. »Ich habe ihm bereits mitgeteilt, dass ich mich unbedingt selbst um die Angelegenheiten meines Vaters kümmern will.«
»Das ist ganz natürlich. Vor allem scheinen Sie im richtigen Alter zu sein, das auch zu können. Was ein weiterer Anlass zur Verwunderung ist.«
»Seien Sie nur beruhigt. Ich bin in der Lage, mich um alles zu kümmern. Ich bin genauestens unterrichtet, und …«
»Ach tatsächlich? Sie sind genauestens unterrichtet?«
Hinter Madame Morton war wie durch Zauberei ihr Mann aufgetaucht. Während die Wellensittiche sich entfernten, da sie durch die Wendung, die die Unterhaltung nahm, gelangweilt waren, trat Professor Morton herbei und insistierte.
»Tatsächlich? Ihr Vater hielt sie auf dem Laufenden über
alle seine Angelegenheiten
? Kennen Sie alles, was er besaß, ganz genau?«
Ein Schauer lief Nina über den Rücken. Wieder dieses Drängen, wieder diese Neugier! Nina dachte an die Madonna aus Jade. Suchte auch Morton sie? Sie zog es vor, einen Schritt zurückzugehen.
»Ja, aber Sie wissen selbst, dass er nicht viel besaß«
Es war zu spät. Sie hatte unvorsichtige Worte ausgesprochen.
»Wenn er so wenig besaß«, erwiderte Professor Morton, »wie wollen Sie dann hier leben?«
»Ich werde das Geschäft meines Vaters übernehmen.«
»Das Geschäft? Die Fotografie?«
Monsieur und Madame Morton hatten gleichzeitig reagiert. Doch Nina war nicht in der Stimmung, das lustig zu finden. Sie spürte in jedem ihrer Sätze eine Drohung. Der Augenblick war gekommen, ihr Wissen an den Tag zu legen.
»Ja, ich bin auch Fotografin. Natürlich bin ich es eher gewohnt, mit modernem Material zu arbeiten, wie man es heute in Frankreich hat. Wir verwenden keine Glasplatten mehr, sondern flexible Filme; und ich habe auch mit dem Autochromverfahren begonnen, das wunderbare Fotos in Farbe macht. Doch ich habe feststellen können, dass das Material meines Vaters in sehr gutem Zustand ist.«
Professor Morton schaltete sich ein, während er sie weiter unablässig musterte.
»Leider aber fehlt sein Reisefotoapparat. Ihr Vater ist mit ihm in die Schlucht gefallen.«
›Nicht der Panik nachgeben‹, dachte Nina. ›Diese Leute lauern auf das kleinste Zeichen der Schwäche.‹
»Natürlich«, pflichtete sie ernst bei. »Aber die Apparate, die noch da sind, sind von ausgezeichneter Qualität für Porträts. Und auch sonst ist alles in ausreichenden Mengen
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