Das Geheimnis der Jadefigur (German Edition)
bin auf einem Elefanten geritten, ich bin durch den Fluss geschwommen …«
»Hör auf!«, rief Paul d’Armand und lachte seinerseits. »Ich habe ja immer gewusst, dass du nicht wie die anderen Mädchen bist. Aber dass du zu all diesen Dingen imstande wärest – alle Achtung!«
Er wischte ihr die Tränen mit seiner großen, knochigen Hand ab. Dann senkte er seine schwarzen Augen in die so hellen seiner Tochter.
»Es ist überstanden, mein Schatz«, murmelte er. »Jetzt kann dir nichts mehr geschehen. Ich bin da. Wir sind vereint, und …«
»… und das ist alles, was zählt.«
Nina hatte es ausgesprochen und weiter unter Tränen gelächelt. Die Wände aus Stein um sie herum waren dunkel und dick, aber ihr Vater hatte recht: Sie waren zusammen. Und das war das Einzige, was zählte.
Von Angesicht zu Angesicht
»Wie sollen wir hier rauskommen?«
Nina untersuchte eingehend die Grabstätte, in der sie und ihr Vater eingesperrt waren. Es war eine einfache, im Boden ausgehobene Grube, über der ein Gebäude aus dicken Mauern stand. In einer Ecke befand sich ein halb verrotteter, leerer Altar.
»War dort Tu Dûc begraben?«
»Nein«, antwortete ihr Vater. »Der Kaiser Tu Dûc wollte an einem geheimen Ort begraben sein. So geheim, dass alle Arbeiter, die an der Bestattung teilgenommen hatten, getötet wurden, damit sie nicht reden konnten.«
»Liebenswerter Kerl.«
»Dies ist also ein falsches Grab. Was aber nichts ändert. Unmöglich, da herauszukommen.« Paul d’Armand zeigte Nina das Fenster, durch das sie sich hatte fallen lassen. Es lag so weit oben, dass es unmöglich war, sich dort hinaufzuziehen.
Die einzige weitere Öffnung war eine offensichtlich von außen verriegelte Metalltür.
»Sie führt zu einem Durchgang, der auf die andere Seite des abgeschlossenen Bezirks führt«, erklärte Paul d’Armand. »Ich bin dort mit gefesselten Händen hereingekommen und wurde mit einer Waffe bedroht. Die Mortons kommen einmal am Tag, mal der Professor, mal seine Frau.«
»Morton hat dich entführt, nicht wahr?«
»Ja, es geschah auf dem Rückweg von der Expedition. Wir blieben gemeinsam zurück, um einen kleinen, abseits gelegenen Tempel zu besichtigen. Er hat mich bewusstlos geschlagen, und als ich wieder aufwachte, waren meine Hände gefesselt. Und er war fort. Zwei Tage lang hat er mich ohne Verpflegung in diesem kleinen Tempel zurückgelassen. Dann kam er wieder und wir legten den Weg bis hierher zu Fuß zurück.«
»Und seitdem bist du sein Gefangener.«
»Ja. Morton hat es nicht eilig. Sein Plan war, mich wieder freizulassen, sobald er das, wonach er sucht, in der Villa Henriette gefunden hätte, und dann irgendeine Geschichte zu erfinden. Doch er hat nichts gefunden. Anstatt sich geschlagen zu geben, hat er mich für tot erklärt und hierher verschleppt. Seitdem kommt er jeden Tag, um mich zu bitten, ihm die Figur auszuliefern.«
»Foltert er dich?«
»Nein. Bisher ist er nur ein hinterhältiger Antiquitätenräuber. Doch gestern Abend war er hier, um mir zu sagen, dass du in Hué seist. Er sagte, ich hätte noch vierundzwanzig Stunden Zeit, wenn ich bis dahin nicht geredet hätte, würden sie dich schnappen und …«
Paul d’Armand beendete seinen Satz nicht. Er legte Nina eine Hand auf den Kopf und drückte sie mit der anderen fest an sich. Nina ließ es mit sich geschehen, dann richtete sie sich plötzlich auf.
»Dieser fette Ochse!«, rief sie mit vor Wut glänzenden Augen.
»Was stellt er sich vor? Dass er nur mit den Fingern schnippt und ich in einem Käfig vor ihm sitze?«
»Er kennt dich eben schlecht.«
Sie brachen in Gelächter aus.
»Kuirk!«
Vater und Tochter drehten gleichzeitig den Kopf. Croquignol beobachtete die Szene vom Rand des Kellerfensters aus und schien sich zu fragen, warum die beiden Menschen gleichzeitig weinten und lachten.
Schließlich entschloss er sich, die Gefühlsausbrüche zu unterbrechen, und sprang auf Paul d’Armands Schulter.
»He!«, rief der Gefangene. »Du bist auch da?«
»Kennst du ihn?«
»Natürlich! Ich habe ihn am Tag vor meiner Abreise im Park der Familie Teng gefunden. Seitdem hat er mich nicht verlassen, nicht einmal während der Expedition. Bis Morton mich hier eingeschlossen hat.«
»Ihm habe ich zu verdanken, dass ich den Weg hierher gefunden habe. Na ja, und eigentlich auch den Mortons«, ergänzte Nina. »Wenn ich nicht solche Angst vor dem Waisenhaus gehabt hätte, wäre ich nicht geflohen, hätte den kleinen Affen nicht
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