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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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erst ein wenig gekränkt, aber dann fiel ihm ein, dass sein Bart angekokelt und sein Gesicht von einer Brandblase, so groß wie ein Fünfkopekenstück, verziert war. Wahrlich ein schöner Mann!
    Mit einem Seufzer wandte er der jungen Dörflerin die unversehrte Seite zu.
    »Bring mich hin, wo sich das Dorf versammelt.«
     
    Aber zum Versammlungsort gelangte er nicht gleich. Ob nun das Mädchen starken Anteil an ihm nahm oder ob seine unversehrte Seite ihr besser gefiel, jedenfalls führte sie Fandorin erst mal ins Haus und bestrich die Brandwunde mit einer duftenden Salbe, von der das Brennen sofort aufhörte.
    »Lass mich deinen Bart stutzen, so siehst du aus wie ein räudiger Köter«, sagte die Wohltäterin (sie hieß Manefa) und stellte, mit einer riesigen Schere klappernd, die Symmetrie seines Bartes wieder her. »Bist du verheiratet?«
    »Verwitwet.«
    »Lügst du auch nicht?« sagte Manefa langgedehnt. »Schwör auf die Lestowka 4 .« Ihre Augen glitzerten nur so.
    Was eine »Lestowka« ist, wusste Fandorin nicht, aber seine Stimmung hellte sich auf. Also konnte er jungen Mädchen, die von der Natur reich ausgestattet waren, durchaus noch gefallen.
    »Meine Liebe, ich könnte dein V-Vater sein«, sagte er würdevoll. »Und einfach so schwören ist eine Sünde. Komm, wir gehen.«
     
    Ein
Volkshaus
wie im Paradies gab es hier nicht, und die Dorfbewohner, an die hundert Menschen, drängten sich im Haus des Starosta. Die Winterräume des Hauses waren zu klein, die meisten mussten in den ungeheizten Sommerteil, den sie jedoch bald so warm atmeten, dass die Scheiben beschlugen.
    Als Fandorin eintrat, kam Jewpatjew eben ans Ende seiner Ansprache. Am Ofen stehend, wandte er den Kopf hin und her, um jeden Einzelnen anblicken zu können. Er redete halblaut, aber gefühlvoll, um die Herzen zu erreichen: »Er droht mit dem Satan, dem Antichristen, dabei ist er selbst der Teufel. Wodurch unterscheidet sich denn der Teufel von Gott? Gott – das ist Liebe, der Teufel aber – das ist Hass. Gott – das ist Leben, der Teufel aber – das ist Tod. Wer Hass predigt und zum Sterben aufruft – von wemkommt der, von Gott oder dem Teufel? Na bitte. Ich weiß, der Dämon ist von Haus zu Haus gegangen, hat seinen Unkrautsamen in die Herzen gesät. Hört nicht auf ihn. Ihr seid Menschen von leichter Gemütsart, mit Lebensfreude, ihr seid Künstler …«
    Der Hausherr kam Fandorin eigentlich nicht besonders lebensfroh vor. Der finstere Großvater von alttestamentarischem Aussehen saß unter den Heiligenbildern, kerzengerade, in weißem Hemd, mit langem grauem Bart. Die struppigen Augenbrauen gerunzelt, hörte er zu, sah aber nicht Jewpatjew an, sondern blickte zu Boden. Rechts und links von ihm saßen seine Frau und die hüftlahme Tochter, eine alte Jungfer, beide in Schwarz und mit mürrischer Miene. Dafür zeigten die übrigen Dörfler von Masilowo wirklich lebhafte Gesichter und bevorzugten in der Kleidung bunte, fröhliche Farben. Die Männer waren in der Mehrheit dünnknochig und beweglich, die Frauen rosig und heiter, die Kinder drehten sich kichernd um sich selbst.
    Wie Altgläubige sehen die nicht aus, dachte Fandorin nach kurzer Umschau. Allenfalls durch ihre Gewohnheit, keine Minute ohne Arbeit zu sein, mögen sie ihnen ähneln. Die Weiber und Mädchen flochten mit flinken Fingern aus Lederstreifen und Flicken eigenartige bunte Halsbänder, die alle in vier dreieckigen Plättchen endeten. Viele der Männer zeichneten, indes sie dem Redner zuhörten, etwas auf Papier, dazu benutzten sie moderne Bleistifte, die aus der Stadt stammten. Fandorin guckte neugierig auf das Blatt seines Nachbarn. Der zeichnete einen drolligen gehörnten Teufel, dem eine Flamme aus dem Rachen schlug und schwarzer Rauch unterm Schwanz hervorquoll.
    An den Wänden hingen überall Holzschnitte, zumeist mit zoologischen Motiven. Fandorin sah verwundert ein Bildchen mit der Überschrift »Wie das Krokodil die Schildkröte betrog«, auf dem tatsächlich Krokodil und Schildkröte zu erkennen waren, noch dazu sehr ähnlich. Ein großes Blatt »Ein jeglicher Atemzuglobpreise Gott den Herrn« zeigte, wie sich das irdische Getier vor dem Allmächtigen verneigte; es enthielt nachgerade die gesamte Bevölkerung von Brehms Tierleben bis hin zu Nashörnern und Giraffen.
    »Das hat Xjuscha die Hüftlahme gemalt«, raunte Manefa. »Ihr Papa hat ein gedrucktes Buch aus der Stadt mitgebracht, darin sind alle möglichen Tiere zu sehen. Die malt sie ab, gibt das Buch

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