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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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hatte, knallte er wortlos mit der Peitsche, worauf die ganze Karawane das Tempo beschleunigte. Das vorderste Gefährt, heute von Kochanowski gelenkt, zog das zweite hinter sich her; das dritte mit dem Diakon und dem Japaner war etwas zurückgeblieben, doch Warnawa trieb sein Pferd mit schrillem Ruf an, worauf die langbehaarten Beine ihre Schnelligkeit verdoppelten.
    »Herr«, rief Masa, »Wanawa-san ezählt von seine Frau, sehr intellessant.«
    Warnawa sagte schüchtern zu Fandorin, der sich auf den Schlittenrand gesetzt hatte: »Ich habe Sehnsucht nach meiner Frau, der Diakonin. Wir haben letztes Jahr in Krasnaja Gorka geheiratet.«
    »Ssön is sie«, meldete Masa beifällig und zeigte mit den Händen: »So. Lundes Gesicht. Alles an ihr is lund.«
    Der Diakon, glücklich errötend, bestätigte: »Sie ist wunderschön.«
    »Nun, ich g-gratuliere.«
    Fandorin sprang wieder in den Schnee, drehte sich um und sah, dass es während seines Gesprächs mit Kryshow auf Jewpatjews Equipage eine Veränderung gegeben hatte. Neben dem Kutscher saß jetzt Jewpatjew im offenen Pelzmantel.
    »Ich habe das Mädchen reingeschickt zum Aufwärmen«, rief er. »Schauen Sie doch mal, wie es denen da geht.«
    »A-Ausgezeichnet«, sagte Fandorin, der sich auf die Kufe gestellt hatte und ins Fensterchen linste.
    Wenn niemand in der Nähe war, hielt Kirilla die »Probezeit durch Erniedrigung« für ihre Führerin nicht allzu streng ein.
    Polkaschka saß zwar auf dem Fußboden, hatte aber den Kopf auf den Schoß der Märchenerzählerin gelegt, die ihr das Haar strählte und dazu halblaut sang, ein Wiegenlied wohl:
     
    In dem Bett, dem weichen,
    Auf dem Pfühl von Seide
    Schlafe, ohne dich zu rühren,
    Bis zum sechsten Tag …
     
    Des Mädchens Mund stand ein wenig offen, die Augen waren geschlossen – sie schlummerte, und auch Fandorin fühlte sich schläfrig von der leisen, zarten Stimme, der langsamen Weise, den sanften Worten eingelullt.
    Aber da hörte Kirilla auf zu singen und wandte den Kopf zum Fensterchen.
    »Wer ist da?«
    »Kusnezow, Erast Petrowitsch«, antwortete er durch die Scheibe. »Was bedeutet das – ›bis zum sechsten Tag‹?«
    Nicht im Geringsten verwundert, antwortete sie ruhig:
    »In den alten Büchern steht geschrieben: Die Seelen der Gerechten werden auferstehen nach dem Ende der Welt am sechsten Tag.«
    »Also fürchten Sie sich auch vor dem baldigen E-Ende der Welt?«
    »Warum sollte ich mich davor fürchten?«, fragte sie gleichsam verwundert. Sie sprach nicht wie die Leute in Stershenez, sondern sehr rein, auf städtische Art, zwar mit umgangssprachlichen Ausdrücken, doch gebildet. »Auch Sie brauchen sich nicht zu fürchten. Ihr Glauben ist nicht der von Nikon, Ihr Herz nicht verdorben – man hört es an der Stimme. Das Jüngste Gericht ist schrecklich nur für die Nichtswürdigen, die ihre Seele nicht behütet haben. Sie aber sind Gott dem Herrn lieb. Er wird Sie aufnehmen wie den geliebten Sohn, der nach Hause zurückkehrt.«
    Verblüffend: Wenn der geisteskranke Lawrenti über das Ende der Welt redete, klang das unheimlich, hoffnungslos, doch Kirilla sprach selbst über das Jüngste Gericht tröstlich, träumerisch.
    Fandorin wollte fragen, woher sie stamme und warum sie so anders sprach als hier üblich, doch da geschah etwas Unvorhergesehenes.
    »He-he! He! Haaalt!” tönte es von der Seite her. »Anhaalten!«
    Auf dem Hochufer stand, mit beiden Armen fuchtelnd, ein Bauer auf Skiern. Er stieß sich ab, sauste geschickt schräg den Hang herunter und eilte auf sie zu.
    Kryshow zügelte schon sein Pferd, das folgende Tier stieß mit dem Maul dem schlummernden Vater Vikenti gegen den Hinterkopf – der fuhr hoch, verlor die Schapka.
    Fandorin sah genauer hin und erkannte in dem Rufer einen der Zählhelfer aus dem Paradies.
    Noch wusste er nichts, spürte nur, dass ein Unglück geschehen war, und eilte dem Skiläufer entgegen.
    »Ein Unglück«, krächzte der, »ein Unglück.«
    Er war wohl lange durch den Wald gelaufen, denn vom Kragen stieg Dampf, und der graue Bart war um den Mund bereift und mit kleinen Eiszapfen bedeckt.
    »Red vernünftig!« schnauzte der hinzugekommene Odinzow.
    Auch die Übrigen kamen angelaufen.
    »Eingegraben … die Ljapunows … Nikita, seine Frau Marja und die drei Kinderchen«, stammelte der Mann in zitterndem Falsett. »Am Morgen ist die Nachbarin zu ihnen hin, keiner im Haus … Im Garten die Erde aufgegraben, und da …«
    Er holte ein Blatt Papier hervor. Odinzow griff

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