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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen
Autoren: Boris Akunin
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ist Samstag, da bäckt Mama Kuchen.«
    »Lass mich auch gehen!«
    »Mich auch!«
    Fandorin, der Wahrsagerin halb zugewandt, um ihr nicht in die Augen zu sehen, sagte möglichst ruhig: »Wer will, soll gehen. Wir bleiben.«
    In der Höhle erhob sich Lärm. Die Kinder stritten untereinander. Die einen wollten bleiben, die anderen gehen. Einer der Jungen ereiferte sich so, dass er die Fäuste schwang. Es war ein Heidenspektakel: Geschrei, Geheul, Geschimpfe.
    Und nun geschah das, was Fandorin am meisten gefürchtet hatte.
    Als die Männer, die draußen warteten, den plötzlichen Lärmhörten, beschlossen sie einzugreifen. Das war verständlich. War es etwa leicht, so lange in Ungewissheit und Tatenlosigkeit auszuharren?
    Gegen die Brettertür dröhnten gewaltige Schläge, sie hielt nicht stand und zerbrach in zwei Teile. Frische frostige Luft flutete ins Innere. Sie gab den Ausschlag.
    Das in die Höhle hereinwehende Leben wirkte stärker als alle Appelle und Argumente. Die Kinder, wie von einem mächtigen Magneten angezogen, drängten stoßend und drängend zum Ausgang.
    »Halt, ihr Dummchen! Ihr seid verloren!«, schrie Kirilla gellend. Sie wollte zugreifen, festhalten, doch Fandorin hatte jede ihrer Bewegungen scharf ins Auge gefasst, und jetzt warf er sich in einem federnden Sprung auf die Wahrsagerin, packte mit festem Griff ihr Handgelenk, an dem der Draht befestigt war, und quetschte es zu Boden.
    Fandorin hatte in seinem Leben viele Kämpfe ausgefochten, manchmal mit sehr ernstzunehmenden Gegnern. Aber noch nie war er auf solche Raserei gestoßen wie bei dieser schmalen, vom Fasten ausgedörrten Frau.
    Ein Schlag mit der Handkante gegen ihr Genick blieb wirkungslos. Ein kurzer, kräftiger Haken gegen ihre Schläfe ebenso.
    Kirilla, vor Wut knirschend, versuchte, am Draht zu ziehen, die andere Hand krallte sie dem Feind in die Kehle, so heftig, dass ihre Nägel ihm die Haut aufrissen und Blut auf sein Hemd floss.
    Von der anderen Seite bohrten sich spitze Zähne in seine Hand, mit der er Kirilla die Kopfschlagader zudrücken wollte. Polkaschka!
    »Geh weg!« stöhnte Kirilla. »Den Pfahl stoß um! Den Pfahl!«
    Das Mädchen ließ von Fandorin ab, kroch schlangengleich zu dem Pfahl und warf sich mit dem ganzen Körper dagegen.
    Der Pfahl knirschte, hielt aber stand; das magere Körperchen war nicht schwer genug.
    Fandorin streckte sich und stieß die »Hündin« mit einem Fußtritt weg.
    Er musste nur noch ganz kurz aushalten, denn die letzten Kinder zwängten sich eben hinaus.
    »Schnell, beeilt euch!«, schrie er und presste nun endlich die richtige Stelle an Kirillas Hals zusammen.
    Sie zappelte, zuckte mit den Beinen, verlor aber entgegen allen physikalischen Gesetzen nicht das Bewusstsein, sondern packte Fandorin plötzlich und zog ihn zu sich heran.
    Dabei zischte sie: » Zerbrich ihn!«
    Fandorin brauchte nur einen Moment, um sich zu befreien: Er warf den Kopf zurück und schlug der verdammten Hexe mit voller Kraft die Stirn gegen die Nase, da gab sie endlich auf und erschlaffte.
    Aber der Moment hatte Polkaschka gereicht, um zur Wand zu springen, Anlauf zu nehmen und sich unter verzweifeltem Kreischen gegen den Pfahl zu werfen.
    Das konnte Fandorin nicht mehr verhindern.
    Das Einzige, was er noch schaffte, war, sich abzustoßen in Richtung des Ausgangs.
    Das Holz krachte, die Erde erbebte, dann kam das Ende der Welt – es wurde schwarz und sehr still.
     
    Wie Strahlen nach allen Seiten
     
    Fandorin erwachte davon, dass ihm etwas Heißes ins Gesicht tropfte. Noch einmal.
    »Okiro, danna, okiro! 10 «,
sagte eine Stimme schluchzend.
    Er hatte gar keine Lust aufzuwachen. Im Gegenteil, am liebsten wäre er wieder in Stille und Finsternis versunken. Schon wollte er das tun, da fiel von oben erneut ein heißer Tropfen.
    Fandorin öffnete widerwillig die Augen und sah über sich die verheulte Physiognomie seines Dieners und dahinter, nicht mal sehr hoch, den grauroten Morgenhimmel.
    In das Blickfeld Fandorins, der noch nicht wieder ganz bei sich war, geriet ein weiteres Gesicht – mit gezwirbeltem Schnauz und verwegener Haartolle.
    »Er lebt! Also hab ich umsonst für sein Seelenheil gebetet«, sagte Odinzow fröhlich und streckte die Hand aus, um Fandorin den Staub von der Stirn zu wischen, aber Masa zischte ihn wütend an, stieß ihn weg und machte das selbst.
    Die Fingernägel des Japaners waren hässlich – abgebrochen, schmutzig, voller Erde und angetrocknetem Blut.
    Über den ins Leben zurückgekehrten
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