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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen
Autoren: Boris Akunin
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sein. Der Japaner verstand sich bestens darauf, mit Kindern zu reden.
    Es gab fast gar keine Atemluft mehr, über den Rücken und die Brust rann Schweiß.
    »Also … in Moskau gibt es eine riesengroße G-Glocke«, begann Fandorin unsicher. »So groß wie ein Bauernhaus. Sie heißt Zarenglocke. Und dann ist da noch die Zarenkanone. Sie ist so schwer, dass z-zwanzig Pferde sie nicht von der Stelle bewegen können. Ja …«
    Er verstummte und kam sich vor wie ein Idiot.
    »Die Glocke schlägt wohl sehr laut?«, fragte seine sommersprossige Nachbarin, sie sah ihn von unten herauf mit noch tränennassen Augen an.
    »Sie schlägt gar nicht, denn sie hat einen Sprung, weil sie vom Turm runtergefallen ist.«
    »Und die Kanone, kann sie weit schießen?«, fragte einer der Knaben.
    »Sie hat niemals geschossen …«
    Weitere Fragen gab es nicht.
    »Graue Taube« – von wegen, dachte Fandorin, böse auf sich selbst.
    »Aber im Lande Afrika, da lebt ein Tier, das heißt Giraffe. Die läuft auf vier Beinen, ist gelb und schwarz gesprenkelt. Und sie hat einen ganz langen Hals. Wenn sie zu einem Baum geht, kann sie sich jeden Zweig holen.«
    »Auch Äpfel?«, fragte es aus der Dunkelheit.
    »Auch Äpfel, Birnen, Pflaumen«, bestätigte Fandorin. »Und dann lebt da noch ein riesengroßes Schwein, das heißt Nilpferd. Den ganzen Tag liegt es im Sumpf, begießt sich selbst mit Schlamm. Und ein anderes Schwein, viel größer noch, heißt Elefant. Es hat solche Ohren und eine Nase wie ein langes Rohr. Wenn es damit Wasser hochzieht und wieder ausspuckt, fallen alle um.«
    Einer kicherte ungläubig.
    Fandorin, ermutigt, sprach weiter: »In einem anderen Land, Australien, gibt es Bärchen, das sind die hübschesten Tiere auf derWelt, klein und puschelig. Sie fressen nur Blätter. Sie kauen und kauen, dann legen sie die Pfoten um einen Ast und schlafen. Diese Bärchen heißen Koala. Ich war mal dort und hab so ein schlafendes Bärchen in die Hände genommen. Das war ihm ganz egal. Es hat mich umarmt und weitergeschlafen.«
    Sie hörten zu, wahrhaftig, sie hörten zu!
    Er sprach noch schneller, wischte den Schweiß von der Stirn.
    »Im Land Japan gibt es einen Ringkampf, da kämpfen zwei dicke Männer gegeneinander, jeder dick wie eine Kugel. Sie treten in einen Kreis und stoßen einander mit den Bäuchen. Und wer besser schubst, hat gewonnen.«
    Alle lachten, aber die Kleine mit den roten Fäustlingen sagte: »Na, mit den Dicken, dasch isch bestimmt Schwindel.«
    »Was, ich schwindle?«, rief Fandorin beleidigt. »Da, schau sselbst.«
    Er holte Masas Geschenk hervor, das Tuch mit den Sumoringern, entfaltete es, zeigte es den Kindern. Die kamen, manche auf allen vieren, andere geduckt, herbei und bestaunten das Wunderding.
    Die Kerzen begannen zu erlöschen, der Sauerstoff ging zu Ende. Fandorin leuchtete mit seiner Dynamolampe.
    »Toll!«, riefen die Jungen. »Onkel, lass mich sie auch mal drücken!«
    »Mich auch!«
    »Mich auch!«
    Die Sache schien gut zu laufen.
    Plötzlich fühlte Fandorin wieder, wie ihn eine sonderbare Erstarrung befiel. Seine Zunge wurde schwer, die Glieder waren wie ertaubt. Kirilla sah ihn mit starrem Blick an, und er spürte physisch die mit Worten nicht zu beschreibende, doch eindeutige Wirkung dieser mesmerisierenden Kraft.
    Er zwang sich, von der Wahrsagerin wegzusehen und nur die gesenkten Kinderköpfe wahrzunehmen, und die Erstarrung wich.
    »In der weiten W-Welt gibt es viel zu sehen«, sagte er laut. »Hohe Berge, blaue Meere, grüne Inseln. Und die Menschen sind alle ganz verschieden. Manche sind böse, aber viele auch gut. Manche sind t-traurig, andere fröhlich. Mit manchen lässt sich fein reden, mit anderen gut arbeiten. Das alles hat Gott der Herr sich ausgedacht für euch! Wie könnt ihr weggehen, wenn ihr noch nichts gesehen und noch nichts ausprobiert habt? Ist das für den lieben Gott nicht kränkend?«
    Fandorin verstummte, er wusste nicht, was er noch sagen sollte.
    Der weißblonde Junge, der links von ihm saß, fragte: »Da wird erzählt, ist vielleicht Schwindel, es gibt so schwarzen Zucker, Schokolad. Soll unheimlich süß sein.«
    »Gibt es«, rief Fandorin eifrig, dankbar für die Anregung. »Und es gibt M-Marmelade, die ist wie Saft, doch man kann sie kauen. Waffeln …«
    »Waffeln hab ich schon gegessen, mein Papa hat sie aus der Stadt mitgebracht.« Das weißblonde Jungchen wandte sich Kirilla zu und verkündete entschlossen: »Mütterchen, ich will nach Hause.«
    »Ich auch. Heute
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