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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen
Autoren: Boris Akunin
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bei unsch in Maschilowo.«
    Fandorin erkannte sie auch – an dem sommersprossigen Näschen, den Zahnlücken und vor allem an den roten Fäustlingen an der Schnur. Sie hatte damals zu dem fremden Onkel gesagt: »Na, was glotscht du? Geh deiner Wege.«
    Als die Kleine seinen Blick auf die Fäustlinge gerichtet sah, sagte sie wie zur Rechtfertigung:
    »Kalt hier. Die Hände frieren.«
    »Halt’s aus, mein Schwälbchen«, sagte Kirilla und lächelte ihr zu. »Bald haben wir die Luft warmgeatmet, dann wird dir heiß. Bruder Erast, sag an, wie hast du rausgefunden, wohin du gehen musst, um dich zu retten?«
    Nach kurzem Zögern entschied er, dass es das Beste sei, dieser Frau die Wahrheit zu sagen.
    »Aus den ›Visionen des Mönchs Amwrossi‹. In der Mine von Bogomilowo hab ich sie gefunden.«
    Sie nickte.
    »Ich sag ja, du bist klug … Sind die Großväter gerettet?«
    »Ja. Man hat sie zu spät ausgeg-graben. Als ich das P-Papier las, habe ich begriffen, was die P-Prophezeiung besagt, da ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen«, konstruierte Fandorin seine Version, dabei sah er Kirilla nicht in die durchdringenden Augen, sondern blickte zu Boden. Das war nicht verdächtig: Er leidet, wählt mühsam die Worte. Stottert sogar mehr als sonst.
    »Du hast Glück gehabt. Wirst gerettet werden.« Die Märchenerzählerin lachte leise. »Auch mir hat Gott der Herr zu guter Letzt noch eine Gnade erwiesen. Soll ich’s gestehen? Als du mich aus dem Feuer gezogen hast, wollte ich sehr gern sehen, was du für ein Mensch bist. Wenigstens mit dem Augenwinkel. Ich dachte, der Böse versucht mich … Schön bist du, ein guter Mann. Mit solch einem aufzufahren gen Himmel, ist eine Freude.«
    Er verbeugte sich ein wenig, wie um für das Kompliment zu danken. Was für eine gespenstische Situation! Ein liebenswürdiges Gespräch zu führen, während das Leben an einem dünnen Draht hing, den die wahnsinnige Fanatikerin buchstäblich in der Hand hielt.
    »Ich habe nicht begriffen, warum der Gottesnarr das Haus angezündet hat«, sagte Fandorin, um das Gespräch vom Himmel zurück zur Erde zu lenken.
    »Wirklich nicht?«, meinte sie erstaunt. »Er wollte mich irre machen. Seit langem zog er durch die Dörfer und redete den Leuten zu, sich nicht in eine Mine zu legen. Lawrenti hält sich für einen Gottesmann, doch er ist ein Laufbursche des Antichristen! Aber er hat eine große Begabung – scharfsichtig ist er, hat mich durchschaut. Und da ist ihm ein böser Einfall gekommen – er hat dasHaus von vier Seiten angezündet und die Tür leicht verkeilt. Er wusste, dass im Halbschlaf jeder nur an sich denkt. Alle springen hinaus, und keiner denkt an mich. Das war seine Berechnung.«
    »Dass du verbrennst?«
    »Nein, schlimmer. Er dachte, ich würde die Augenbinde abmachen, um die Tür zu finden. Hätte ich das getan, so würde ich das Gelübde gebrochen haben und wäre am Ende gewesen. Wie hätte ich da andere retten können? Lawrenti wollte die Kraft in mir zerstören. Aber Gott der Herr hat das nicht zugelassen, er hat dich geschickt.«
    Fandorin konnte nur mit den Zähnen knirschen.
    Das sommersprossige Mädelchen war, an ihn geschmiegt, eingeschlafen. Aber sein Schlaf war schwer, unruhig. Der Luftmangel machte sich allmählich bemerkbar. Viele der Kinder wischten sich den Schweiß ab.
    Die Zeit ging hin. Viel blieb nicht mehr. Bald würde bei den schwächsten Kindern das Ersticken beginnen …
    »Wo stammst du her?«, fragte Kirilla und zupfte ihr Kopftuch zurecht. Bei dieser Bewegung spannte sich der Metallfaden, und Fandorin presste es das Herz zusammen. »Du sprichst so rein, nicht wie die Leute hier im Norden.«
    »Aus Moskau. Und du, Mütterchen?«
    Ihm war eingefallen, dass er sich nach der von Kryshow angebotenen Legende als Altgläubiger aus der Vorstadt Rogosha ausgeben sollte.
    »Auch ich bin Moskauerin!«, rief Kirilla erfreut. »Kaufmannstochter aus Rogosha. Schon als Kind habe ich mich aus der Welt zurückgezogen. Ich habe am Meer in einer Klosterzelle gelebt, habe alte Bücher abgeschrieben und ausgemalt. Zweiundzwanzig Jahre lang. Und im vorigen Jahr hatte ich eine Offenbarung. Eines Nachts lag ich im Schlaf, da war plötzlich eine Stimme, streng, licht. ›Geh und lies „Amwrossis Vision“, darin ist eine große Prophezeiungverborgen.‹ Ich habe die Weissagung gleich erkannt. Aber den dort genannten Ort konnte ich lange nicht finden. Von der Stadt Archangelsk bis zum Steinernen Gürtel hab ich alles zu Fuß
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