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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen
Autoren: Boris Akunin
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Kapelle! Los, hin!«
    Zwischen den weißen Flocken war tatsächlich etwas Dunkles, Aufwärtsstrebendes zu erkennen.
    »Wo sollen wir sie suchen? Wo könnte die M-Mine sein?«
    Fandorin ließ seine Elektrizität nach allen Seiten leuchten. Jewpatjew zündete eine Laterne an, die er aus dem Jägerhäuschen mitgenommen hatte. Odinzow verschwand schon wieder in der Dunkelheit.
    »Ich denke dauernd, vielleicht irren Sie sich ja auch«, sagte Jewpatjew hoffnungsvoll. »Was die Kinder betrifft. Na? Überlegen Sie doch: Wie sollen die aus ihren Dörfern hierherkommen? Wir sind ja mit dem Schlitten lange genug gefahren.«
    Fandorin holte tief Luft.
    »Das habe ich auch Odinzow gefragt. Er sagt, das ist ganz einfach. Der Fluss hat eine Menge Biegungen. Über das Eis sind es von Denisjewo bis hier an die hundertfünfzig Werst. Aber quer durch den Wald nur vierzig, fünfundvierzig. Von den anderen Siedlungen ist es noch näher. Für die hiesigen Kinder, die ans Skilaufen gewöhnt sind, ist das keine Entfernung. Wie viele die ›Hündin‹ hierhergelockt hat, das ist die Fr…«
    »Ich hab’s!«, schrie es aus der Dunkelheit. »Hierher!«
    Jewpatjew stürmte so abrupt los, dass das Laternenflämmchen ausging. Fandorin vergaß, den Dynamohebel der Taschenlampe zu drücken, und sie erlosch.
    Dafür flammte vorn ein helles Feuer auf – der Wachtmeister hatte einen Tannenzweig angezündet und so eine Fackel improvisiert.
    Nun war die Kapelle zu erkennen, die sich an den steilen Hang eines bewaldeten Hügels duckte. Mitten auf dem Hang zeichnete sich dunkel eine kleine Brettertür ab.
    Zu beiden Seiten der Tür lagen, mit Schnee bestäubt, Skier und kleine Schlitten.
    Es waren viele, Dutzende.
    »Psst!«, zischte Odinzow, das Ohr an dem Türchen.
    Fandorin trat näher und vernahm kaum hörbaren Gesang.
    Reine Engelsstimmen kamen aus weiter Ferne, wie aus dem Schoß der Erde.
    »Herrgott, sie leben!« flüsterte Jewpatjew, er musste schluchzen. »Was stehst du da, Uljan? Verschlossen? Dann brich sie auf!«
    Fandorin packte den Wachtmeister, der Anlauf nehmen wollte, an der Schulter und warf ihn zur Seite in den Schnee.
    »Untersteh dich! Und wenn die Mine nach allen Regeln der Kunst gebaut ist? Hast du den ›leichten‹ T-Tod vergessen? Seid leise. Und was auch passiert, dringt nicht ins Innere.«
    Er ging zur Tür und klopfte behutsam.
    Dann rief er: »Mutter Kirilla!«
    Und lauter: »Mutter Kirilla! Ich bin’s, Erast Petrowitsch Kusnezow!«
    Der Gesang brach ab.
    »Lass mich auch ein, Mütterchen! Bitte!«, bat er gefühlvoll und machte den anderen heftige Zeichen, sich zu verstecken.
    Der Polizist zertrampelte den brennenden Tannenzweig; die beiden Männer sprangen zur Seite, wurden verschluckt von der Dunkelheit und dem Schneetreiben.
    Von drinnen kam keine Antwort, und Fandorin rief wieder, doch nicht mehr flehend, sondern drohend, er ließ sogar einen hysterischen Unterton mitklingen: »Lass mich rein! Ihr wollt wohl nur euch retten, und ich soll verderben? Das ist Sünde, Mütterchen! Ich habe dich aus dem Feuer geholt, und du schickst mich in die Hölle! Mach auf! Ich geh ja doch nicht weg!«
    Hinter der Tür ein Rascheln.
    Fandorin machte sich bereit.
    Kirilla packen und rausziehen, das war das Wichtigste. Jewpatjew und Odinzow würden schon mit ihr fertig werden. Er selbst musste, ehe die Kinder etwas begriffen, den in der Mitte dünngeschnitzten Pfahl erreichen, wenn es da einen gab.
    Der Riegel knackte. Die Tür knarrte.
    Fandorin hob die rechte Hand, in der linken hielt er die Dynamolampe und begann sacht zu drücken. Wie sollte er den Pfahl finden, wenn es drinnen dunkel war?
    Die Tür ging auf.
     
    Der leichte Tod
     
    Die Hände sanken herab – beide.
    Die rechte, weil nicht Kirilla geöffnet hatte, sondern Polkaschka.
    Die linke, weil die Lampe überflüssig war, denn drinnen brannten Kerzen. Viele.
    »Kommen Sie rein«, sagte die kleine Bettlerin mit einer Verneigung.
    Bettlerin? Nein, zerlumpt sah sie nicht mehr aus. Die Haare waren gekämmt, zu Zöpfen geflochten und mit Papierrosen geschmückt. Ein schmuckes Kleidchen mit Stickereien hatte sie an. Um den Hals trug sie eine Kette. Das magere Gesichtchen strahlte in festlicher Ekstase.
    Er bückte sich und betrat den nach Erde riechenden engen Gang.
    Hinter ihm kreischte der Riegel.
    »Hierher, komm rein«, rief Kirillas Stimme.
    Der kurze Gang mündete in eine runde Höhle, die auch niedrig, aber recht geräumig war. Wie geräumig war schwer zu bestimmen, aber
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