Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen
geschickter Schachzug. Denn Arsen wird im Gegensatz zu raffinierteren Giften in jeder Apotheke verkauft, manchmal sogar in Eisenwarenhandlungen. Eine gängige Ware, da es bekanntlich in der Stadt mehr Ratten und Mäuse gibt als zweibeinige Bewohner. Das war sozusagen eine allgemeine Betrachtung. Kommen wir nun zu den Fakten.«
Der Untersuchungsführer raschelte mit den Papieren, als er seine Aufzeichnungen durchsah.
»Fakt Nummer eins: Der Baron hat jeden Abend Pfefferminztee getrunken, und zwar immer zur gleichen Zeit.«
»Leon hatte einen kranken Magen, Pfefferminze linderte die schneidenden Schmerzen«, sagte die Witwe traurig.
»Und das wusste der Verbrecher«, hakte Wanjuchin ein. »Fakt Nummer zwei: Punkt halb acht trug die Köchin Marja Ljubakina die Teekanne ins Kabinett. Das bestätigen die Mitarbeiter des Büros, die an dem Tag Überstunden machen mussten. Gegen neun waren alle gegangen, im Kabinett blieben nur der Direktor und der Sekretär. Laut Aussage des Pförtners machten sich die beiden fast gleichzeitig auf den Heimweg, um halb elf. Der Baron mit der Kutsche, Stern auf seinen zwei Beinen. Nach den Tassen zu urteilen, die auf dem Tisch stehenblieben, hat der Direktor den armen Stern großmütig mit Tee bewirtet. Da kann man wirklich sagen: Man hält sich lieber von der Herrschaft fern 1 .«
Das war selbst dem kaltblütigen Sergej von Mack zuviel.
»Bitte mäßigen Sie Ihren Ton, er ist verletzend«, sagte er dumpf, den Kopf gesenkt. »Vater war kein hochmütiger Mensch, er behandelte seine Angestellten mit Respekt. Wenn im Kabinett Tee getrunken wurde, hat er selbstverständlich auch dem Sekretär davon angeboten.«
Das war ohne Herausforderung gesagt, aber mit solcher Würde, dass selbst der alte Wolf Wanjuchin ein wenig friedlicher wurde.
»Von mir aus. Sie tranken also Pfefferminztee mit Arsen und gingen nach Hause, und die Reste schlürfte der unglückliche Krupennikow. Der Mörder hat mit einem solchen Ausgang nicht gerechnet. Wäre nur der Baron gestorben, so wäre das Verbrechen wahrscheinlich gar nicht aufgedeckt worden. Ihr Herr Vater hatte eine angegriffene Gesundheit; Anfälle von Übelkeit und Erbrechen kamen häufig vor. Der Polizei wäre es gar nicht in den Sinn gekommen, einen natürlichen Tod anzuzweifeln. Aber da hat einer richtig Pech gehabt. Drei Leichen auf einmal! Das kommt selbst der hiesigen Polizei verdächtig vor«, stichelte der Petersburger wieder gegen seine Moskauer Kollegen. »Dass sie nicht erst selber herumklügelten, sondern mich damit betrauten, ist löblich. Wanjuchin versteht sein Geschäft. Ein vorsätzlicher Mord und zwei nicht vorsätzliche – das bedeutet lebenslange Zwangsarbeit«, sagte der Ermittler nachdrücklich und sah dabei Sergej von Mack durchdringend an. »Wo ein Baum geschlagen wird, fallen Späne. Mit Hilfe dieser Späne werde ich den Verbrecher aufspüren. Das wird nicht lange dauern. Von ›Wem nützt es‹ bis zu ›Wer ist schuld‹ ist es ein kurzer Weg. Für heute empfehle ich mich.
Bis bald.
«
Mit dieser bedrohlich klingenden Ankündigung erhob sich Wanjuchin, neigte den Kopf vor der Witwe und ging hinaus. Die Brüder von Mack würdigte er keiner Verbeugung, und Fandorin sah er nicht einmal an.
Ein streng vertrauliches Gespräch
Zu diesem Zeitpunkt war Fandorin fest entschlossen, den Fall nicht zu übernehmen. Wanjuchins Grobheit hatte bei ihm zwar einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlassen, dennoch konnte er den Ermittler verstehen. Sehr reiche Menschen ähneln Patienten, die an einer unschicklichen Krankheit leiden. Sie genieren sich vor ihrer Umgebung, und die Umgebung geniert sich vor ihnen. Wahrscheinlich sind ganz gewöhnliche menschliche Gefühle wie Liebe und Freundschaft für einen Mann wie Sergej von Mack völlig undenkbar. An seinem Herzen wird immer ein Wurm nagen: Die Braut liebt nicht mich, sondern meine Millionen; der Freund meint nicht mich, sondern meine Eisenbahnen.
Und dann, was für ein widerwärtiger Hochmut! Fürst Dolgorukoi hatte gesagt, der junge von Mack bitte Fandorin inständig, ihn zu einem streng vertraulichen Gespräch aufzusuchen. Nun hatte der Baron nicht einmal geruht, ihn zu begrüßen.
Fandorin fühlte sich brüskiert, und nachdem sich hinter Wanjuchin die Tür geschlossen hatte, machte er ebenfalls Anstalten, den Raum zu verlassen (ein Platz war ihm ohnehin nicht angeboten worden).
Aber der neue Direktor der Gesellschaft »von Mack und Söhne« durchkreuzte seine
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