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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Herrn mit mürrischer Miene, einer verweinten Frau in vorgerücktem Alter und zwei jungen Männern mit etwas fischigen Augen (von Mack hatte die gleichen – also waren sie Brüder). Alle außer dem Kahlkopf trugen Schwarz, die drei Brüder hatten außerdem Trauerflore am Ärmel.
    Merkwürdig, aber er wurde nicht vorgestellt. Als Antwort auf die Verbeugung nickte der Direktor nur kurz und erklärte dem mürrischen Herrn: »Sie können fortfahren. Das ist … ein Freund der Familie. Hat weiter keine Bedeutung.« Dazu machte er auch noch eine geringschätzige Handbewegung. »Bitte, Herr Wanjuchin. Sie sprachen gerade von Stern.«
    Fandorin war es nicht gewöhnt, wie eine Fliege oder Mücke behandelt zu werden, und zog eine Braue hoch, doch als er den Namen des mürrischen Herrn vernahm, senkte er sie wieder.
    Ach, so ist das. Sossim Prokofjewitsch Wanjuchin persönlich.
    Er hatte viel von diesem Mann gehört, sah ihn aber jetzt zum ersten Mal und war, ehrlich gesagt, einigermaßen enttäuscht. Eine lebende Legende der Polizeifahndung, glich er eher einem Lakaien aus reichem, aber nicht sehr weltläufigem Haus: Der kahle Schädel war auf beiden Seiten von einem hässlichen Backenbart eingerahmt, der Kragen leuchtete blütenweiß, die Krawatte war übertrieben prächtig, und die Perlennadel paßte nicht zu der himbeerfarbenen Weste. Aber sollte man einen Menschen, zumal einen Mann, nach der Kleidung beurteilen? Seinerzeit hatte Wanjuchin so manchen verworrenen Fall entwirrt. Immerhin hatte er sich vom einfachen Polizisten bis zum General hochgedient, zum Leiter der Petersburger Kriminalpolizei – und zwar dank seines angeborenen Scharfsinns und seines Bulldoggen-Zugriffs.
    Wanjuchins stechende Augen saugten sich an Fandorin fest.
    »Erlauben Sie die Frage, wo der ›Freund der Familie‹ am sechsten dieses Monats war«, erkundigte sich der Petersburger beim ältesten von Mack.
    Wanjuchins Art zu sprechen war ausgesprochen unangenehm – so hämisch, als glaube er seinem Gesprächspartner von vornherein kein Wort. Er schien dem Direktor sagen zu wollen: Wenn du auch der bedeutendste Großindustrielle bist und hundertfacher Millionär, ich pfeife darauf, für mich sind alle Menschen gleich.
    Obwohl Fandorin ein Feind jeglicher Unhöflichkeit war, imponierte ihm diese Demonstration. Offenbar stand Wanjuchin nicht umsonst in dem Ruf, ein unabhängiger Mann zu sein und sein Amt ohne Ansehen der Person auszuüben.
    »Er ist nach längerer Abwesenheit gerade erst zurückgekehrt«, antwortete Sergej von Mack, und Wanjuchin verlor jedes Interesse an Fandorin, fragte nicht einmal nach dem Namen.
    »Also sprach Sossim, jetzt wird’s schlimm«, kalauerte Wanjuchin nicht sehr witzig (nach der leichten Grimasse zu urteilen, die das leidenschaftslose Gesicht des Direktors verzerrte, war dieserSpruch hier nicht zum ersten Mal gefallen). »Ihr Herr Vater, folglich Ihr Gatte« – hier verneigte sich der Untersuchungsführer mit übertriebener Ehrerbietung vor der älteren Dame –, »fühlte sich in der Nacht vom sechsten zum siebenten unwohl und war schon eine Stunde später, wie man so sagt, bei den Engeln im Himmel.«
    Die beiden jungen Männer, verletzt vom Ton des Ermittlers, wechselten einen empörten Blick, einer machte sogar eine heftige Bewegung, aber Sergej von Mack runzelte nur leicht die Stirn, und die jüngeren Brüder nahmen sich zusammen. In der Familie von Mack schien unbedingte Subordination zu herrschen.
    »Eine halbe Stunde später gab in seiner Zwanzig-Rubel-Wohnung der Sekretär des Verblichenen, ein gewisser Nikolai Stern, unter entsetzlichen Krämpfen seinen Geist auf. Unter Krämpfen, weil sich die Doktoren für den unbedeutenden Mann kein Bein ausrissen und niemand seine Qualen mit Kampfer oder anderen modernen Mitteln linderte.« Wanjuchin machte eine Pause und bedachte die Mitglieder einer der reichsten Familien Russlands mit einem ironischen Blick. »Versetzen wir uns jetzt in Gedanken in das Kontor Ihres ehrwürdigen Unternehmens, also an den Ort, wo wir uns gerade befinden. Denn der dritte Akt der Tragödie hat sich hier abgespielt. Vor Sonnenaufgang hörte der Pförtner Schreie aus dem Korridor, wo Krupennikow, wie immer nachts, den Fußboden wischte. Bevor der Unglückliche seinen Geist aufgab, hatte er ein kurzes Gespräch mit dem Pförtner. Wenn man das überhaupt Gespräch nennen kann. Krupennikow schrie: ›Mir brennt’s innen drin! Ich halt’s nich mehr aus!‹ Der Pförtner fragte: ›Hast du was

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