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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Evakostüm mit einem Brotmesser die Leiche der eigenen Schwester zerstückelt.«
    Wieder redeten alle durcheinander, verteidigten mit gleicher Heftigkeit beide Standpunkte, wobei die Damen im Wesentlichen Fandorins Version zustimmten, während die Männer sie für unwahrscheinlich hielten. Der Urheber des Streits beteiligte sich nicht an der Diskussion, lauschte aber den Argumenten mit großem Interesse.
    »Warum schweigen Sie?«, sagte Frau Odinzowa zu ihm. »Er (sie zeigte auf Mustafin) leugnet doch das Offensichtliche, nur um die Wette nicht zu verlieren! Beweisen Sie es ihm. Geben Sie noch eine Begründung, die ihn mundtot macht!«
    »Ich warte auf die Rückkehr Ihres Matwej«, antwortete Fandorin knapp.
    »Wohin haben Sie ihn denn geschickt?«
    »In die Kanzlei des Generalgouverneurs, dort ist die Telegraphenstelle r-rund um die Uhr besetzt.«
    »Das ist doch auf der Twerskaja, fünf Minuten Fußweg, inzwischen ist aber mehr als eine Stunde vergangen«, wunderte sich jemand.
    »Matwej hat den Auftrag, auf die Antwort zu warten«, erklärte Fandorin und verstummte wieder. Dafür zog Mustafin die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, indem er zu einer weitschweifigen Rede ansetzte und nachzuweisen suchte, dass Fandorins Theorie mit der weiblichen Psyche unvereinbar sei.
    An der effektvollsten Stelle, als Mustafin gerade eindringlich davon sprach, dass Frauen sich von Natur aus der Nacktheit schämten und kein Blut sehen könnten, öffnete sich leise die Tür, und herein kam der langerwartete Matwej. Lautlos trat er zu dem Kollegienassessor und überreichte ihm mit einer Verbeugung ein Blatt Papier.
    Fandorin faltete es auseinander, las und nickte. Die Gastgeberin, die das Gesicht des jungen Mannes aufmerksam beobachtete, konnte ihre Neugier nicht bezähmen und rückte mit ihrem Stuhl näher an ihn heran.
    »Na, was steht da?«, flüsterte sie.
    »Ich hatte recht«, antwortete Fandorin, ebenfalls flüsternd.
    Triumphierend unterbrach Frau Odinzowa den Redner: »Genug Unsinn geschwatzt, Archip Hyazintowitsch! Was wissen Sie schon von der weiblichen Natur, Sie waren ja nie verheiratet! Erast Petrowitsch hat den schlüssigen Beweis!« Sie nahm dem Kollegienassessor das Papier aus der Hand und ließ es herumgehen.
    Die Gäste lasen befremdet die Depesche, die aus nur drei Wörtern bestand: »Ja. Ja. Nein.«
    »Das ist alles? Was bedeutet das? Wo kommt es her?«
    »Das Telegramm kommt aus der russischen Gesandtschaft in B-Brasilien«, erklärte Fandorin. »Sehen Sie den Diplomatenstempel?Bei uns in Moskau ist es Nacht, in Rio de Janeiro jedoch Arbeitszeit. Darauf habe ich gerechnet, als ich Matwej anwies, auf die Antwort zu warten. Was die Depesche angeht, so erkenne ich Karl Webers lakonischen Stil. Mein Schreiben lautete folgendermaßen. Matwej, ich bitte um den Zettel, den ich Ihnen mitgab.« Fandorin nahm dem Lakaien das Blatt aus der Hand und las:
»›Karluscha, teile umgehend folgendes mit. Ist die in Brasilien lebende Russin Anna Karakina, Tochter des Fürsten Lew Karakin, verheiratet? Wenn ja, hinkt ihr Mann? Und noch etwas: Hat sie auf der rechten Wange ein Muttermal? Ich brauche das alles für eine Wette. Fandorin.‹
Aus der Antwort geht hervor, dass Anna K-Karakina mit einem hinkenden Mann verheiratet ist und dass sie kein Muttermal hat. Wozu sollte sie das jetzt noch brauchen? Im fernen Brasilien sind solche Tricks überflüssig. Sie sehen, meine Damen und Herren, Polinka lebt und ist mit Renard verheiratet. Das idyllische Ende einer schrecklichen Geschichte. Übrigens beweist das Fehlen des Muttermals, dass Renard an dem Mord beteiligt war und sehr genau weiß, dass er mit Polinka verheiratet ist und nicht mit Anjuta.«
    »Dann lasse ich jetzt nach dem Caravaggio schicken«, sagte Frau Odinzowa mit einem sieghaften Lächeln zu Mustafin.

Aus dem Leben der Späne
     
    Da hat einer Pech gehabt
     
    Fünf Personen? Vielleicht etwas viel für ein »streng vertrauliches Gespräch« – das war das Erste, was Fandorin dachte, als er das Büro des Direktors der Eisenbahngesellschaft »von Mack und Söhne« betrat.
    Der Kollegienassessor verbeugte sich vor den Anwesenden und ließ dann den Blick auf dem Mann ruhen, der am Kopfende des Tisches saß. Das war zweifellos Baron Sergej Leonardowitsch von Mack, zu dem ihn der Fürst zwecks eines streng vertraulichen Gesprächs geschickt hatte. Fandorin, Beamter für Sonderaufträge, erwartete, dass Baron von Mack ihn den Übrigen vorstellen würde: einem kahlköpfigen

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