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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Abdurrachmanowitsch Machmetschin vorgestellt wurde, sah noch imposanter aus: schwarzer Gehrock, blütenweißes Hemd mit Seidenkrawatte, aber dazu ein eng geschlungener Turban, der zu dem hochmütigen Gesicht mit den breiten Wangenknochen sehr gut passte. Aus dem ironisch klingenden »Hadschi«, wie Papachin seinen Konkurrenten ansprach, und aus der mehrmaligen Erwähnung der heiligen mohammedanischen Stadt Mekka schloss Tulpow, dass Machmetschin vor noch nicht allzu langer Zeit eine Wallfahrt in den Orient unternommen hatte, womit sich zweifellos auch der Turban erklären ließ.
    Die Hausherrin hingegen enttäuschte Tulpow. In der Diele hatte er sie nicht richtig betrachten können, denn dort war es dunkel gewesen. Aber jetzt, im Licht der Lampe, sah er, dass sie unschön war: stumpfe Haut, strähniges, fettiges Haar, ein merkwürdig kleines und etwas narbiges Gesicht. Als er in der Kalesche Blinows Erzählung lauschte, hatte er ein ganz anderes Bild vor Augen gehabt: eine blasse, aber aparte junge Frau mit schutzlosen und erschrockenen Augen, eine Frau, die vom dramatischen Zickzackihres Schicksals ganz verwirrt war und sehnsüchtig auf den Recken wartete, der sie unter seine Fittiche nimmt, sie beruhigt und rettet. Und sie schenkt ihm zum Dank ihre Liebe, die bei schwindsüchtigen Damen besonders glühend sein soll, und natürlich ein paar Millionen Mitgift.
    Von der Mitgift hatte Tulpow geträumt, als er mit Petrow auf der dunklen Allee zum Haus ging. Während er jetzt Warwara Iljinitschna musterte, dachte er: Die Millionen wären natürlich eine feine Sache, aber dann müsste er nach Menton fahren und seinen Dienst quittieren. Es wäre ja dumm, bei solchem Reichtum sich für ein Gehalt von fünfzig Rubeln die Sohlen abzuwetzen. Doch ohne seinen Chef Fandorin, ohne den rundgesichtigen Peiniger Masa würde er sich vielleicht dem Suff ergeben. Ach, zum Teufel mit dem Reichtum.
    Nachdem er sich mit Leckereien vollgestopft und das Problem mit den Millionen gelöst hatte, machte er sich an die Ermittlung.
    »Wo sind denn die anderen Gäste, schon gegangen?«, fragte er und zeigte auf die leeren Tassen und zerknüllten Servietten.
    »Bei uns auf dem Land geht man früh schlafen«, antwortete die Hausherrin mit einem geringschätzigen Lächeln. »Sie haben Kuchen und Torte gefuttert, haben mich angegafft, damit sie was zu tratschen haben, und ab nach Hause, in die Falle. Jetzt schlafen sie bestimmt schon. Die Gutsbesitzer, Herr Tulpow, sind ein langweiliges Völkchen. Schön, dass Herr Machmetschin und Mister Papachin mir Gesellschaft leisten, sonst säße ich jetzt mutterseelenallein am Samowar. Petrow zählt nicht. Er lebt nur auf, wenn er von alten Zeiten reden kann.«
    Der gelehrte Ethnograph hatte sich mit einer Tasse Tee in eine Ecke zurückgezogen und in ein dickes Notizbuch mit Ledereinband vertieft. Direkt über ihm hing die Ikone, von der Tulpow schon gehört hatte: der heilige Pankrati (mager wie Petrow, mitgenauso einem Bart, nur hielt er keinen Notizblock in der Hand, sondern ein frommes Buch), und daneben die gefleckte Schlange mit der strahlenden Krone.
    Es missfiel Tulpow außerordentlich, wie sich Warwara Iljinitschna über die Gutsbesitzer äußerte. Es ist noch nicht lange her, meine Liebe, da hast du hier dein Gnadenbrot gegessen, und jetzt rümpfst du die Nase über die Nachbarn? Er bekam Lust, ihr eine Grobheit zu sagen.
    »Und Ihr Verwalter? Warum bitten Sie ihn nicht zum Tee? Ist er nicht standesgemäß?«
    Warwara Iljinitschna, die eigentlich hätte beschämt sein müssen (hatte sie nicht noch vor kurzem vom Wohl des Volkes geschwärmt?), war nicht im Geringsten verlegen, im Gegenteil, sie kicherte.
    »Das würde er auf keinen Fall annehmen. Hier herrscht ein besonderer Dünkel – Selbsterniedrigung, und die ist schlimmer als Stolz. Die Krascheninnikows stehen seit fast hundert Jahren bei den Baskakows in Diensten. Sich an den Herrentisch setzen, das wäre so, als würde man auf dem Altar Wurst schneiden. Und außerdem, wer bin ich für meinen Verwalter? Eine Emporgekommene, ein Kuckucksei. Wissen Sie, was er zu mir gesagt hat?«
    Sie lachte, doch ihr Lachen ging in Husten über – in einen trockenen, krampfhaften Husten, ein bedrückender Anblick. Nachdem sie sich mit einem Taschentuch die Augen gewischt und Atem geschöpft hatte, fuhr sie fort, als wäre nichts gewesen: »Er liest altertümliche Bücher, ist Kirchenältester. Wenn es nach ihm ginge, müsste ich mein ganzes Erbe für die

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