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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Iljinskoje oder Olchowka erzählt Ihnen mit allen Einzelheiten und in poetischer Form von der Skarpea, aber Frau Baskakowa wusste nur, dass ihr Vorfahr sein Haus an der Stelle errichtet hatte, wo er einer Zauberschlange begegnet war, und dass dieses Ereignis mit der späteren Heiligsprechung Pankratis zusammenhing. Doch von der Prophezeiung hatte sie keine Ahnung!«
    Ein höchst verwunderliches Bild: Zwei gestandene Männer – ein Petersburger Gelehrter und der persönliche Assistent des Beamten für Sonderaufträge beim Generalgouverneur – führen nachts auf einem Waldweg ein irres Gespräch über eine Zauberschlange. Tulpow hatte einen argwöhnischen Gesichtsausdruck (sollte er gefoppt werden?), der Folklore-Forscher hingegen einen enthusiastischen.
    »Wussten Sie, mein Herr, dass die Legende von der Skarpea oder auch Skarapea, Skorospea oder Skarabea in der gesamten großrussischen Ebene verbreitet ist, von Archangelsk bis in die südlichen Gouvernements?« Offensichtlich erwartete und wünschte Petrow auf seine Frage keine Antwort, denn er machte nicht die kleinste Pause. »Etymologisch geht der Name dieses magischen Reptils sicherlich auf den altägyptischen Skarabäus zurück. Die Folklore-Tradition verleiht der Skarpea Weisheit, Hellsicht und die wunderbare Eigenschaft, Reichtum zu bringen. Aber zugleich symbolisiert das Bild der gekrönten Schlange zweifellos auch den allmächtigen, allgegenwärtigen Tod. Alle diese Komponenten sind auch in der Legende über die Skarpea der Baskakows vereint.«
    »Was denn, die Baskakows haben eine eigene Zauberschlange?«, wunderte sich Tulpow.
    »Ja. Eine Schlange, die, so die Legende, ihr Geschlecht groß gemacht hat und es früher oder später vernichten wird. Was ja auch, wie wir jetzt sehen, eingetreten ist«, verkündete Petrow mit sichtlicher Genugtuung (die natürlich rein wissenschaftlicher Natur war).
    Von dem Moment an hörte Tulpow sehr aufmerksam zu, ohne zu unterbrechen.
    »Im fünfzehnten Jahrhundert, im Fürstentum Wassilis des Geblendeten, als Moskau noch unterm tatarischen Joch stand, streifte der grimme tatarische Baskake 1 Pantar Mursa mit einer Schar von Mordgesellen durch die hiesigen Sümpfe«, begann der Gelehrte genüsslich (und wohl auch nicht zum ersten Mal) zu erzählen. »Die Legende besagt, dass der Baskake den Auftrag hatte, die Städte und Dörfer nicht anzurühren und den Tribut nur von den Kirchen und Klöstern einzutreiben. Seine Männer rissen die Vergoldung von den Kirchenkuppeln, die Beschläge von den Ikonen, die Stickerei und Pailletten von den Priesterornaten, und ob dieser Schändung ging ein lautes Wehklagen durch den ganzen Pachrinsker Kreis. Doch mitten im Faulen Moor hatte Pantar Mursa eine Erscheinung. Der Tatar sah eine riesige, Licht verströmende Schlange mit einer goldenen Krone auf dem Kopf, und die Schlange sprach zu ihm mit menschlicher Stimme: ›Gib den Tempeln Gottes zurück, was du genommen, und danach komme wieder hierher – ich werde dich belohnen.‹ Ein solches Wunder machte Pantar Mursa zittern, er gab den Popen und Mönchen das Geraubte zurück und ging dann erneut ins Moor. Und wieder kam die Schlange zu ihm und sprach: ›Weil du dich meinem Willen gebeugt hast, schenke ich dir ein Büschel Zauberkraut. Wo du es zu Boden wirfst, findest du einen gewaltigen Schatz. Dein Geschlecht wird reich und berühmt sein über viele Jahre, bis ich erneut komme undden letzten deiner Nachfahren mit mir nehme.‹ Damit legte sie ein kleines Krautbüschel vor Pantar Mursa auf den Boden und verschwand. Der Tatar, mehr tot als lebendig, lief weg von diesem verwunschenen Ort, lief so schnell, dass er am Rande des Moors das Kraut fallen ließ. Im selben Augenblick stand eine eisenbeschlagene Truhe vor ihm, randvoll gefüllt mit goldenen Tscherwonzen.« Hier wechselte Petrow vom getragenen Märchenton in die normale Stimmlage, als wolle er eine Fußnote oder einen wissenschaftlichen Kommentar anfügen. »Tscherwonzen gab es zur Zeit Wassilis des Geblendeten natürlich noch nicht, aber so will es die Legende. Nach der Begegnung mit der Skarpea nahm Pantar Mursa das Christentum an, baute am Rande des Moors ein Haus und heiratete ein russisches Mädchen aus einer angesehenen Familie. An der Neige seines Lebens, er war inzwischen Witwer, zog er die Mönchskutte des strengsten Ordens an und wurde durch viele gute Taten und sogar Wunder berühmt, wofür er später unter dem Namen Pankrati heiliggesprochen wurde. Nun ist vor einem

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